Die Malerei im Brennglas.

Thomas Kitzinger im Gespräch mit Julia Galandi-Pascual und Ulrike Prasch

 

Julia Galandi-Pascual: Die Ausstellung im PEAC Museum ist eine besondere, weil sie ausschließlich Arbeiten aus der Serie „24.10.1955“ zeigt, an der Du, Thomas, seit 2008 kontinuierlich arbeitest. Wie kam es überhaupt zu dem ersten Kopf?

Thomas Kitzinger: Ich habe in dieser Zeit sehr viele Porträts gemalt, die als solche zunächst nichts mit meiner künstlerischen Arbeit zu tun hatten, sondern als reine Auftragsarbeiten eine Möglichkeit waren, Geld zu verdienen. Trotzdem entwickelte sich währenddessen die Frage, ob sich Menschenköpfe nicht auch in meine eigentliche Arbeit einfügen könnten. Ich habe ebenfalls in dieser Zeit meine Frau Elvira gemalt und dabei kam in mir eine erste Ahnung auf, dass es sich nicht um ein Einzelbild handelt, sondern vielmehr der Beginn einer Reihe sein könnte. Das hing mit dem Ausschnitt, der gewählten Passbildoptik und – schon damals – der Tatsache zusammen, dass nicht wie beim klassischen Portrait noch zusätzlich irgendwelche Attribute zu sehen waren, die auf eine übergeordnete Bedeutung verwiesen. Es war stattdessen einfach nur dieser eine Kopf, frontal dargestellt. So entstanden sieben Bilder, auf denen alle Köpfe vor grünem Hintergrund mit einem angeschnittenen, roten Oberteil zu sehen waren. Durch diese erste Farbwahl in Kombination mit dem Hautinkarnat erschienen sie allerdings sehr traditionell und erinnerten mich an Porträts der Renaissancemalerei. Nachdem diese Köpfe eine Zeit lang so im Atelier an der Wand hingen und ich mich dabei ertappte, dass ich mich scheute, das achte Bild zu beginnen, musste ich mir eingestehen, dass die Bilder so nicht funktionierten. Daraufhin habe ich ganz radikal alle abgeschliffen, d.h. zerstört. Mir war zwar klar geworden, dass mich etwas an diesen Köpfen interessiert, aber ich hatte noch keine Vorstellung davon, was es sein könnte. So habe ich begonnen mit Farbe zu experimentieren, indem ich zunächst einen der Köpfe nochmals gemalt habe, um anschließend verschiedene Farbtöne für den Hintergrund anzulegen. Irgendwann tauchte diese merkwürdige Türkis-Blau-Grün auf, das sich als Einzelton eigentlich gar nicht bestimmen bzw. beschreiben lässt. Mich hat seine nebelige Wirkung überzeugt, die zu dem Eindruck führt, dass das was wir sehen in dieser Farbe verschwindet.

Ulrike Prasch: Und dieser Farbton ist im Gegensatz zu dem ursprünglichen Dunkelgrün und Rot ein in der überlieferten Farbikonographie unbesetzter.

TK: Genau – und seltsamerweise musste ich feststellen, dass nachdem ich damit die Fläche hinter dem Kopf bemalt hatte, diese nicht mehr dessen Verortung diente, sondern die Wirkung eines Zwischenraums entfaltete. Dem habe ich dann das T-Shirt angepasst, indem ich dafür einen verwaschenen Ton, im Grunde wieder eine Nichtfarbe, gewählt habe. Nachdem diese Entscheidungen getroffen waren, habe ich dann wie im Rausch angefangen zu malen, so dass gleich 20 bis 30 Portraits entstanden sind.

JGP: Im Gegensatz zu diesem Formalismus der Farben fällt dann umso mehr die detailgetreue Malweise der individuellen Köpfe auf – ihre im wahrsten Sinne porentief-scharfe Darstellung, die auf der Grundlage von Fotografien entstehen.

TK: Ja, zu Beginn eines jeden gemalten Kopfes stehen Fotografien von Personen, die ich in meinem Atelier unter den immer gleichen Bedingungen aufnehmen. Das betrifft sowohl die Standorte der Personen und der Kamera als auch die Lichtsituation in meinem Atelier, das ein Oberlicht nach Norden besitzt. Die Personen schauen, ungeschminkt und ohne Schmuck oder Brille, frontal in die Kamera, während ich in der Regel 20, manchmal aber auch 40 Fotos mache. Aus dieser großen Anzahl wähle ich dann wiederum drei bis fünf Aufnahmen aus, die als Grundlage für den gemalten Kopf dienen.

JGP: Allein die Tatsache, dass das Bild von einem Abbild entsteht, d.h. die Übertragung von einem Bild zum anderen, stellt einen ersten Schritt der Distanzierung zu der Person dar - war das auch der Grund für Deine Entscheidung, sie nicht Modell sitzen zu lassen?

TK: Diese in der Porträtmalerei übliche Vorgehensweise haben ich auch nicht gleich zu Beginn aufgegeben. Aber ich habe bald gemerkt, dass die unmittelbare Anwesenheit der zu malenden Person zu viel Nähe verursacht, die mich in dem Fall nicht interessiert hat. Denn auch wenn es widersprüchlich klingt, die Person, die ich in der Zeit male, ist für mich bedeutungslos. Es geht vielmehr um individuelle Physiognomien, so wie jede Pflanze eine eigene Erscheinung hat, hat auch jeder Kopf einen ganz eigenen Charakter. Mich interessiert die jeweilige Kopfform, die Nase, der Mund, die Falten, die so ein Gesicht hat und darum wie ich all dies malen kann, ohne es zu interpretieren, sondern einfach so wie es ist. Ein Ohr beispielsweise stellt einen ganzen Kosmos dar, den ich während des Malens wie bei einer mikroskopischen Aufnahme betrachte. Dabei versuche ich ihn so präzise wie möglich zu malen. Aber dann gibt es Momente, gerade wenn man sich mit der Augenpartie beschäftigt, in denen ein Kontakt mit besonderer Qualität zu der Person entsteht. Denn so ausdauernd, wie ich mich in dem Moment dem Menschen widme, so lange schaut sich wahrscheinlich selbst niemand im Spiegel an. So lange wie ich an einem Auge arbeite, wird es wohl kaum jemand aushalten, sich in die Augen zu blicken. Das schafft zunächst selbstverständlich eine Nähe. Das Verrückte ist aber, dass gleichzeitig Distanz entsteht. Denn meine Arbeitsweise gleicht der eines Chirurgen, der ohne jede Betroffenheit den Schnitt ganz präzise und exakt setzen muss, um den Eingriff professionell und damit erfolgreich durchführen zu können. Ich entledige mich jeglicher Emotionen, indem ich beim Malen so präzise wie möglich werde, um zu dem zu kommen, was mich an Malerei interessiert. Und selbst wenn ich selbstverständlich bewusst entscheide, wen ich male, ist dann die einzelne Persönlichkeit zweitrangig. Der Mensch wird zum Objekt. Er ist für mich ein Malgegenstand.

JGP: Entsprechend den Tellern, Agaven, Kakteen oder Luftballons in Deinen anderen Werkserien?

TK: Ja, nur im Vergleich dazu ist der menschliche Kopf ein Malgegenstand, der mir einen viel extremeren Widerstand bietet. Bei all den anderen Motiven, seien es organische Erscheinungen, wie Pflanzen oder alltägliche Gegenstände, wie Teller und Vasen, kann ich die Komposition letztlich frei anlegen, das heißt Farben und Formen wählen, Licht- und Schattenflächen bestimmen. Bei den Köpfen ist dagegen alles bis ins Detail vorgegeben, so dass ich mich rein auf die Malerei konzentrieren kann. Ich muss nichts weiter entscheiden. Zu Beginn der Serie sind mir die Köpfe, im Rückblick betrachtet, vielleicht noch etwas wirkungsvoll geraten. Diese Wirksamkeit hat mich aber damals fasziniert und so begeistert, dass ich beim Malen der nächsten Bilder Vergleichsköpfe hängen ließ, um möglichst genau diesen wirksamen Ton wieder zu treffen. Dann musste ich aber feststellen, dass sich in dem Malprozess, ohne mein bewusstes Zutun, immer wieder etwas verändert hat und ich fand anschließend genau diese subtile Entwicklung viel interessanter als ein Ergebnis erreichen zu wollen, dass möglichst genau dem vorherigen entsprach. So ist es, bis heute, ein malerischer Prozess, der mich von Bild zu Bild führt und damit zu immer wieder neuen Herausforderungen, die von der Farbsetzung bis zum Vertreiben des Pinselstrichs reichen.

UP: Bei dem Stichwort Distanz kehren wir zunächst noch einmal zu dem Bildhintergrund zurück, der durch seinen kühlen, unbestimmten Farbton auch Distanz zwischen der dargestellten Person und dem Betrachter herstellt. Denn er führt in der einheitlichen Verwendung in allen Arbeiten der Serie zu einer Entpersonalisierung der Köpfe und zu der Erkenntnis, keiner dieser Köpfe sei räumlich noch zeitlich zu verorten. Sie wirken aus Raum und Zeit enthoben. Diese Distanz spiegelt sich, wie bereits angesprochen, in den von Dir verwendeten Vorlagen. Die Fotografie stellt aber auch jene Bildtechnik dar, mit der üblicherweise ein bestimmter Moment festgehalten wird. Und so sehe ich in den gemalten Köpfen auch viele eingefrorene Momente. Das Leben hat viele Spuren hinterlassen und hinter jeder Falte gibt es so etwas wie eine Geschichte. Es fällt auf, dass von Ausnahmen abgesehen, überwiegend ältere Köpfe zu sehen sind – ist dies Zufall oder eine bewusste Entscheidung?

TK: Die Beobachtung stimmt. Das kann sich aber mit der Zeit ändern, da ich mir in dem Fall keine festen Vorgaben gemacht habe, sondern dies schlicht und einfach mit meinem Umfeld zusammenhängt. Die jungen Köpfe sind in der Regel die Kinder von Freunden, Bekannten oder Kollegen.

UP: Die offensichtliche Vereinheitlichung der Köpfe führt weiter zu der Frage, ob in dem Zusammenhang die Idee der Vergleichbarkeit bedeutungsvoll ist? Du hast bereits von einer Entwicklung gesprochen, und zwar nicht im Sinne einer Optimierung, sondern eher einer Progression, die Dich von Bild zu Bild weitergeführt hat. Hat das einzelne Bild als solches für Dich überhaupt eine Bedeutung oder verschwindet es pars pro toto in dieser nun seit über zehn Jahren anwachsenden Serie?

TK: Ich male den einen Kopf mit genau der gleichen Hingabe, mit der gleichen Liebe wie den anderen. Denn jeder Kopf ist wie ein eigener Kosmos und gleichzeitig für mich immer wieder eine neue, eigene malerische Herausforderung: Die Augen, Ohren, die Nase, die Asymmetrie im Gesicht und natürlich die Behaarung auf dem Kopf oder im Gesicht. Es ist daher auch nicht so, dass ich Bild für Bild male, um sie wie Einzelteile eines Puzzles zu einem großen übergeordnetem Gemälde zusammenzusetzen. Der Eindruck mag bei vergangenen Präsentationen, wie z.B. im Museum für Neue Kunst in Freiburg (2012) oder auch im Kunstmuseum Bonn (2016) entstanden sein, bei denen einzelne Köpfe über mehrere Reihen gehängt wurden und so ein großes Bild entstanden ist. Bei der raumhohen Installation in Bonn, durch die jegliche Nahsicht erschwert wurde, erfuhr das Einzelbild automatisch weniger Aufmerksamkeit. Als Betrachter konnte man keinen Standpunkt einnehmen, der es ermöglicht hätte, den Bildern einzeln gegenüberzutreten. Dies hinterließ einen Eindruck von gleichzeitiger Nähe und Distanz, der in der Bonner Ausstellung gerade bedeutungsvoll war. Mir selbst wurde dort deutlich, wie diese Köpfe ihre Kraft in der Masse entwickeln und dabei diese Widersprüchlichkeit offensichtlich wird, die mich grundsätzlich beschäftigt. Anders bedeutungsvoll war die Installation in der Pfalzgalerie in Kaiserslautern: Eine Auswahl an Köpfen hing in einem relativ engen Flur, so dass sie sich nicht nur gegenseitig anschauten, sondern der Betrachter dazwischenstand und, egal wie, den Blick eines anderen, eines Abwesenden, im Rücken hatte. Das war wohl so bedrohlich, dass bei der Ausstellungseröffnung kaum jemand durch diesen Gang gelaufen ist. Im PEAC Museum zeige ich dagegen wie die Bilder auch in der Vereinzelung Kraft entfalten. Hier lässt sich die Konfrontation mit dem einzelnen Kopf gar nicht vermeiden. Denn in jedem Saal hängt an jeweils einer Wand eine Reihe von Köpfen, denen der Betrachter auf Augenhöhe begegnet. So wird unmittelbar spürbar, wie jeder dieser Köpfe, in seiner Hingabe, Detailverliebtheit und damit in seiner Verdichtung eine eigene Bedeutung besitzt. Tatsächlich funktionieren die Bilder ein Stück weit wie Module, die man jedes Mal neu setzen kann und das ist auch das Schöne an dieser Serienarbeit, dass sowohl das Einzelbild als auch die Gruppe eine ganz andere Energie entfalten.

UP: Aber wie wäre es, wenn man einen Kopf aus der Serie isoliert ausstellen würde? Einer allein erscheint fast verloren.

TK: Ja, so wie der Mensch allein halt auch verloren ist. Während man bei einer Gruppe – wie im wirklichen Leben auch – gleich beginnt zu vergleichen – wer hängt neben wem, wie schaut der, wie sieht die aus, welche Frisur hat sie, guckt der eine trauriger als der andere, wer hat mehr Falten – wäre man in dem Fall als Betrachter dem einzelnen Bild total ausgeliefert.

JGP: Dabei wäre vermutlich das widersprüchliche Empfinden von Distanz und Nähe durch diese Intimität anders eindringlich: Einerseits der eine, stechende Blick, der meinem Blick auf Augenhöhe begegnet. Andererseits aber das Gefühl, er lässt mich allein. Denn der Blick schaut einfach durch mich hindurch, so dass eine unheimliche Distanz entsteht, die mich fernhält.

UP: Wenden wir uns dem Thema Zeit zu. Allein die Tatsache, dass Du jetzt seit über zehn Jahren an dieser Serie malst, verweist auf Deine eigene Lebenszeit. Malzeit entspricht sozusagen Lebenszeit und gleichzeitig, wir sprachen kurz darüber, offenbart sich in jedem dieser Köpfe Zeit, individuelle Lebenszeit. Im Anblick der Ausstellung im PEAC Museum, kannst Du bei Dir selbst auch noch ein besonderes Empfinden von Zeit beobachten?

TK: Sicherlich, denn im Anblick sowohl älterer als auch der neuesten Köpfe bin ich mit Zeitphasen aus meinem Leben konfrontiert – mit der Zeit, in der die Bilder entstanden sind. Denn während des Malens empfinde ich selbst eine Verdichtung von Lebenszeit. Dabei bin ich ganz bei mir und gleichzeitig weit weg von mir. Aber auch die Dauer, die ich für das Malen eines Kopfes benötigt habe, ist in einer solchen Ausstellung für mich spürbar. Denn der Malprozess ist von Bild zu Bild verschieden. Es gibt Köpfe, die sind mir sehr gut von der Hand gegangen, das heißt ich hatte schnell einen Zugang, andere waren schwieriger. In dem Zusammenhang ist es mir wichtig noch einmal zu betonen, dass ich jede metaphysische Bedeutung in meinen Arbeiten ablehne. Denn ich male ja nicht die Person, um eine Dopplung dieser zu erreichen oder gar ihre Persönlichkeit zu interpretieren, sondern ich male die Person, um ein Bild zu machen. Und dieses Bild ist eine eigene Welt. Es hat keine Botschaft, sondern ist einfach da. So wie wir auch da sind. Mein Ziel ist es, dass jedes dieser Bilder Autonomie besitzt, unabhängig von einem Gestus, einem raffinierten Pinselstrich. Jedes Mal ist es mein Bestreben, das Bild so stark zu verdichten, bis ich aufhören kann. Bis sich der Kopf von der ursprünglichen Person abgelöst hat. Dann steht die Zeit still!

UP: Was würde man finden, wenn man bei Wikipedia nach Thomas Kitzinger suchen würde? Wie würdest Du Dich selbst beschreiben?

TK: Das ist eine gute Frage! Als Autodidakt habe ich einen eigenen, ohne von Lehrern geprägten Weg gefunden, Malerei zu reflektieren. Das heißt ich verstehe mich einfach als Maler, im positiven Sinne ohne weitere Zuordnung. Ich bin kein realistischer Maler, ich bin kein abstrakter Maler. Ich bin aber auch kein Schüler von XY, sondern benutze das Medium der Malerei, um mich mit meiner Lebenszeit auseinanderzusetzen. Ich habe lange darunter gelitten, dass ich keine Akademieausbildung, keinen Lehrer gehabt habe – und heute würde ich behaupten -  ist genau das mein Kapital, mein eigenes Fundament.

JGP: Dieser starke Moment der Selbstreflexion war mir bisher nicht klar.

TK: Der aber nicht von Narzissmus getrieben ist. Im Gegenteil, ich nutze die Malerei, um von mir wegzukommen.

JGP: Und deshalb zeichnet diese Bilder eine übergeordnete Bedeutung aus, die unabhängig von Deiner Person, Deiner Zeit ist. Das ist umso interessanter, als das, was wir sehen, auf den ersten Blick sehr wohl einen unmittelbaren Bezug zu (Deiner) Realität hat. Alle Köpfe stehen in einer unmittelbaren Beziehung zu Dir. Zuallererst durch Deine Entscheidung diese Personen zu malen. Aber je länger man die Ergebnisse dessen betrachtet, umso mehr erkennt man, dass das was zu sehen ist, seinen Grund nicht in der Abbildung hat, sondern sich zwischen Realismus und Illusionismus und damit auch zwischen Malerei als Bild und Material bewegt.

TK: Genau diese Widersprüche sind sehr schwer in Worte zu fassen – was mir aber auch gefällt. Denn jeder dieser Köpfe ist schlussendlich einfach ein Bild und ist damit allein berechtigt zu sein. Und dank der Motive, den Köpfen, die allgemein verständlich scheinen, rufen diese Bilder anfänglich gar kein Bedürfnis nach Erläuterungen hervor. Muss der Betrachter bei anderen Bildern häufig inhaltliche Hintergründe kennen, um „etwas zu erkennen“, ist bei meinen Bildern von Beginn an ein anderer, unabhängiger Zugang möglich. Was ich damit meine, wird wieder im Vergleich mit traditionellen Porträts deutlich: Dort tauchen Attribute auf, durch die eine Person in ihrer sozialen Rolle oder Schicht identifiziert werden kann, wenn man sie als solche entziffern möchte. Bei meinen Köpfen hingegen ist ein wesentliches Kriterium, dass genau solche Merkmale nicht erscheinen. Beispielsweise ist bei keinem Brillenträger die Sehhilfe zu sehen, denn sie würde als modisches Attribut gleich eine zeitliche Verortung ermöglichen. Ähnliches gilt für Schmuck oder auch Make-up – alles soziale Insignien, mit denen die Menschen im Alltag die Wahrnehmung ihrer selbst, ihrer Persönlichkeit beeinflussen. Ohne all dies, könnten meine Köpfe, strenggenommen, sogar aus dem Mittelalter stammen. Ich habe alles getilgt, was einen Kopf zeitlich, kulturell-gesellschaftlich und sozial verorten könnte, weil ich seine reine Beschaffenheit suche – und zwar mit Hilfe einer malerischen Präzision, die zu einer Distanz oder auch Leere führt.

UP: Den Begriff der Leere kann ich im Zusammenhang mit den Vasen, Kakteen oder Luftballons gut nachvollziehen. Denn in diesen Bildern begreift man die bloßen Oberflächen als Leere. Aber bei den individuellen Köpfen diesen Moment zu erkennen, stellt eine große Herausforderung dar.

TK: Diesen muss man sich wohl freischaufeln, d.h. man muss sich auf die Bilder einlassen, indem man sich mit ihnen auf intensive Weise beschäftigt. Der Betrachter sollte sich einen Stuhl nehmen, einen Kopf auswählen und sich dem Kopf geradezu ausliefern, ihn immer wieder anschauen. Und dann beobachten, was mit seiner Wahrnehmung passiert. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, wie ein solcher Kopf zur Hülle wird, die zunächst vielleicht noch eine Bedeutung suggeriert, um sich dann aber immer mehr zu entleeren und – wenn überhaupt – bloße Erinnerung bleibt. Die Erkenntnis, dass ich mich selbst noch nicht einmal fassen kann, meine eigenen Abgründe nicht kenne und nicht ahne, wozu ich fähig bin, führt bei mir zu der Einsicht, dass egal wie viele Bilder es geben mag, der Mensch an sich niemals fassbar ist. Auch solche existentiellen Fragen interessieren mich, wenn ich einen Kopf male.

UP: Diese Dimension zu erkennen fällt natürlich nicht leicht, da Du in Deinem Werk immer wieder über die detailgetreue Darstellung eine falsche Fährte legst.

TK: Das ist richtig, aber genaue die ist notwendig. Wie soll ich es sonst machen? Ich suche einen neuen Zugang, also meinen Zugang. Sonst wäre ich ein Epigone.

JGP: Dir geht es, entsprechend einem Blick durch ein Brennglas, um die Essenz, eigentlich um das Malen selbst?

TK: Genau diese Motivation lässt sich am Beispiel der Haare vielleicht nochmals verdeutlichen. Ich arbeite mich an dem Punkt immer wieder richtig hinein und merke plötzlich, wie ich im Strich genauer und damit gleichzeitig immer freier werde. Ich erfinde in den Momenten sehr viel. Früher habe ich versucht der Vorlage entsprechend ganz genau zu malen und es drohte die Gefahr der Naivität. Diese ist im Laufe der Zeit immer weiter verschwunden und stattdessen geht es um das Malen selbst. Was ich damit meine? Ich kann Haare nicht Haar für Haar malen, sondern jedes einzelne muss erfunden werden. Dafür eignen sich gerade Haare besonders, denn sie stellen sowohl graphische als auch malerische Elemente dar und zeichnen sich zum Beispiel durch unterschiedlichste Farbtöne, -verläufe aus. Wie sich die Bedeutung der Farbe im Umgang damit für mich verändert hat, zeigt sich darüber hinaus auch darin, dass ich nicht mehr wie früher die bemalte Oberfläche nach der letzte Malschicht mit einer Rasierklinge abziehe, sondern sie heute unbehandelt lasse. So bleibt im wahrsten Sinne mehr Material, Farbe stehen. Das erkennt man augenscheinlich bei den neuen Arbeiten, deren Oberflächen eine größere Offenheit auszeichnet.

UP: Welche Bedeutung hat dann der Ton einer Farbe für Dich?

TK: Der entsteht nie aus einer konkreten Überlegung oder gar Analyse heraus, sondern allein aus dem Gefühl. Das bedeutet bei den Köpfen anders als bei meinen anderen Bildern, wo die Farbwahl durchaus immer auch zum Teil aus einer innerbildlichen Notwendigkeit herrührt, vor allem aus meinem atmosphärischen Empfinden heraus – sogar die Gesichtsfarbe. Farbe dient nie einem illustrativen Zweck, dient nie dazu einen guten Kopf zu malen. Manche Leute empfehlen mir irrtümlich die ein oder andere Person mit den Worten „der oder die hat einen guten Kopf“. Für mich ist aber jeder Kopf gut.

JGP: Wenn jeder Kopf gut ist – wie wird es mit der Serie weitergehen?

TK: Es gibt – außer meiner eigenen Lebenszeit – keinen Grund mit dem Malen aufzuhören. Alles ist würdig gemalt zu werden. Es gibt generell nichts Unsinniges auf der Welt. Ich bin der festen Überzeugung, dass alles einen Sinn macht und man deshalb die Dinge auch so lassen kann, wie sie sind. Und so möchte ich die Köpfe auch wahrgenommen sehen, sie sind so wie sie sind und zwar ausnahmslos.

Wolfgang Ullrich

Selbstbewusste Malerei – Zu den Porträts von Thomas Kitzinger

 

Im Jahr 1817 veröffentlichte Clemens Brentano eine Erzählung, deren Hauptprotagonist ein Porträtmaler ist.1 Er heißt Wehmüller und reist durch die Lande, wobei er sich vor allem als Maler von Offizieren verdingt. Wenn ihre Regimenter versetzt werden, brauchen sie zahlreiche Porträts von sich, um „sich in dem Andenken mannigfaltiger schöner Freundinnen zu erhalten“. Damit er die Sitzungen kurz halten und an einem Ort viele Aufträge auf einmal erledigen kann, hat Wehmüller ein effizientes Verfahren entwickelt. Er identifiziert die jeweiligen „Nationalgesichter“ und malt sie bereits im Voraus. Für Ungarn etwa hat er 39 Typen unterschieden, die er in seinem „reichassortierten Lager“ während des Winters vorbereitet, um dann im Sommer damit herumzureisen. Der jeweils zu Porträtierende sucht sich aus den Varianten die ihm am besten passende aus, worauf Wehmüller noch „einige persönliche Züge und Ehrennarben oder die Individualität des Schnurrbartes des Käufers“ hinzufügt. Keiner seiner Kunden muss also „über Unähnlichkeit oder langes Sitzen klagen“. Am meisten Zeit benötigt Wehmüller dafür, zum schon gemalten Gesicht die richtige Uniform hinzuzufügen. Kostet das Porträt einen relativ niedrigen Grundpreis, muss für die Uniform „nach Maßgabe ihres Reichtums nachgezahlt werden“. Jedes Rangabzeichen, jeder Orden verteuert das Bild.

Wehmüllers Gemälde folgen also dem Prinzip ‚Kleider machen Leute’, während die Gesichter ziemlich pauschal bleiben. Er hat jedoch einen Konkurrenten, den Maler Froschauer, der umgekehrt vorgeht und „immer alle Uniformen voraus fertig“ hat, um sich dann „für die Gesichter extra zahlen“ zu lassen. Sie sind dafür ziemlich individuell. Brentanos Sympathie gilt eindeutig Froschauer, und mit einer List lässt er diesen schließlich auch über den zuerst erfolgreicheren Wehmüller triumphieren. Das ist nicht frei von Moralisierung, will Brentano doch vermitteln, dass es nicht in Ordnung ist, wenn ein Porträtmaler aufgrund seines Strebens nach Effizienz die Beschäftigung mit dem jeweiligen Gesicht und seinen Zügen vernachlässigt.

Tatsächlich ist die Kunstgeschichte reich an Beispielen von Porträtisten, die ähnlich effizient und pragmatisch vorgingen wie Wehmüller oder Froschauer. Man denke etwa an Lukas Cranach, in dessen Werkstatt allein rund tausend Bilder von Martin Luther und seiner Ehefrau Katharina von Bora entstanden. Hintergrund und Gewand sind jeweils einfarbig gehalten, die Gesichter sehen wie mit Schablone gemalt aus. Im frühen 17. Jahrhundert schaffte es Michiel van Mierfeld in Delft, sogar insgesamt rund 5500 Porträts zu malen und dadurch zu einem der reichsten Bürger seiner Stadt zu werden. Er ging ähnlich wie Froschauer vor und ließ Hintergrund und Kleidung von Gehilfen – selbst von Verwandten – auf Vorrat malen, so dass er nur noch das Gesicht einzusetzen hatte. Manchmal überließ er selbst das noch seinen Mitarbeitern und vollendete die von ihnen vorbereiteten Porträts nur mit ein paar Pinselstrichen, agierte dann also wie Wehmüller.2

Thomas Kitzinger malt Porträts ebenfalls in großer Zahl. Und auf den ersten Blick mag man auch ihm Effizienztechniken unterstellen. So hält er sich seinerseits nicht unnötig mit Details auf, sondern gestaltet die Kleidung schematisch-einfach: Alle Dargestellten tragen ein eierschalenfarbenes T-Shirt. Ihre Gesichter heben sich zudem immer vom selben einfarbig hellblauen Hintergrund ab. Sie sind frontal abgebildet, das Spektrum der Farben, die für Inkarnat und Frisur verwendet werden, ist ziemlich schmal, das Format immer dasselbe (70 x 50 cm). Und doch ist die Situation völlig anders als bei Wehmüller oder van Mierfeld. Kitzingers formale Entscheidungen sind nämlich nicht Folge eines gesteigerten Geschäftssinns; sie sind nicht getroffen worden, um möglichst schnell und risikoarm Aufträge abzuarbeiten. Vielmehr malt Kitzinger seine Porträts alle in eigenem Auftrag; er verkauft sie auch nachträglich nicht an die Porträtierten (die er meist persönlich kennt), sondern sammelt sie, um sie bei Ausstellungen zu Tableaus geordnet auszustellen. Sie sollen also immer im Plural zu sehen sein und damit direkt miteinander verglichen werden. Die immer gleichen Kompositionen und das simple Setting dienen dazu, die Vergleichbarkeit zu begünstigen.

Was aber fällt dann auf? Offensichtich hat Kitzinger die Dargestellten nicht danach ausgewählt, dass sie besonders schön, markant oder ungewöhnlich sind. Außerdem gibt es in der Reihe seiner Porträts gleichermaßen Prominente und Unbekannte, Alte und Junge, Frauen und Männer, so als sei es dem Künstler wichtig, einen Querschnitt durch die Gesellschaft zu bieten. Aber in jedem Fall glaubt man erkennen zu können, was ihn an einem Kopf ganz speziell interessiert, ja dass er sich jeweils einer eigenen malerischen Herausforderung gestellt hat. Das kann eine üppige Haartracht sein, ein Dreitagebart, die Art der Falten am Hals, eine Partie mit schlaffer Haut. All das setzt er in dünne Pinselstriche um, die seine Malweise kennzeichnen und den Bildern zusammen mit Weißhöhungen eine manchmal fast künstliche Schärfe verleihen, welche den Blick des Betrachters lange festhält. So werden die verschiedenen Gesichter Anlass für Kitzinger, um in der Summe zu einem Kompendium ‚schwieriger Stellen’ zu gelangen und, indem er diese alle souverän meistert, spezifische Möglichkeiten der Malerei vorzuführen. Anders als für viele Porträtisten in der Geschichte der Malerei ist diese für ihn damit aber auch mehr als ein bloßes Medium: Sie ist selbst Thema und Sujet und wird so demonstrativ in Szene gesetzt, dass die als solche immer präsent bleibt.

Dass man bei Kitzinger jeweils eine größere Anzahl von Porträts sieht, lässt aber nicht nur auf die malerische Faktur aufmerksam werden; vielmehr entsteht zugleich der Eindruck, es gehe ihm mehr um die raffinierte Ausdifferenzierung von Oberflächen als um Seelenschau, mehr um Variationen eines Themas als um den einzelnen Menschen. So unterschiedlich und unverwechselbar jedes von Kitzinger gemalte Gesicht ist, so wenig wird doch suggeriert, die genaue Wiedergabe physiognomischer Details solle Zugang zum Innenleben des jeweils Porträtierten liefern. Es ist Kitzinger also offenbar nicht wichtig, den alten Mythos vom Künstler als Seher zu aktualisieren, dem es gelingen könne, das verborgene wahre Wesen eines Menschen in einem Porträt sichtbar zu machen. Lange Zeit wurde mit diesem Topos versucht, für Porträtmalerei als etwas besonders Tiefes (gerade auch gegenüber der vermeintlich nur äußerlichen Fotografie) zu werben.

Wegen dieses Topos wurden aber auch Maler wie Cranach, van Mierfeld und Wehmüller gerne kritisiert. Doch während sie das Individuelle typisierten, um einer hohen Nachfrage effizient nachkommen zu können, hat es bei Kitzinger nichts Defizitäres, ja wirkt sogar programmatisch, dass er das Augenmerk nicht auf den Charakter der einzelnen Menschen richtet und erst recht von deren jeweiliger sozialer Rolle abstrahiert. (Die Bildtitel nennen auch keine Namen oder Berufe, sondern allein das Geburtsdatum, reduzierten die porträtierte Person also auf ein paar Ziffern.) Es ist, als misstraue er einer Metaphysik von ‚außen’ und ‚innen’, von ‚oberflächlich’ und ‚tief’. Wer seine Porträts betrachtet, gelangt im Gegenteil zu der Überzeugung, dass das Sichtbare die einzige, zumindest aber die wichtigste und stärkste Realität ist. Sie ist so reich, dass man nicht noch nach mehr zu suchen braucht. Nein, das, was zu sehen ist, gibt unerschöpflich viel Stoff. Daher aber sind die Welt und insbesondere die Vielfalt der Gesichter vor allem auch dazu da, gemalt zu werden. So viel malerisches Selbstbewusstsein ist in Zeiten, in denen Maler oft an ihrem Metier zweifeln, besonders wertvoll. Mit seiner beeindruckenden Konzentration auf die Oberflächen gewinnt Thomas Kitzinger für die Malerei verloren geglaubtes Terrain zurück.

1 Clemens Brentano: „Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter“
(1817), in: ders.: Werke in zwei Bänden, hg.v. F. Kemp, Bd. 1, München 1972, S. 347ff.

2 Vgl. Michael North: Das Goldene Zeitalter. Kunst und Kommerz in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln 2001, S. 65.

Malerei ohne Eigenschaften

Ein paar endliche Sätze zu Thomas Kitzingers unendlicher Köpfe-Serie.

Von Hans-Joachim Müller

 

Es ist, wie man einen dicken Roman in den Händen hält. Nehmen wir Robert Musil, seinen „Mann ohne Eigenschaften“. Man hat so viel zu lesen und liest und liest, und es geht immer weiter ohne irgendeine Zuspitzung, ohne Crescendo, Steigerung auf irgendeinen Höhepunkt zu oder eine Katastrophe oder eine erlösende Befreiung. Roman-Seite um Roman-Seite, als sähe man den Wellen am Strand zu, stundenlang, und am nächsten Tag wieder, und es geschieht nichts, und man wartet nicht, dass etwas geschieht, hat längst vergessen, dass etwas geschehen könnte. So ähnlich ist auch die Erfahrung mit Thomas Kitzingers Malerei. Malerei ohne Eigenschaften.

Es liegt über all den Werkgruppen die Disziplin des Gleichmaßes, ein Rückzug aus dem Drama des Lebens, ein bedachtes Verharren, das der meditierenden Konzentration nicht unähnlich ist. Und wenn die Sujets auch so noch unterschiedlich sein mögen, dass man auf Anhieb nicht sagen könnte, was sie verbindet, dann eint sie doch die Auflösung des Augenblicks in Dauer.

Lauter Bildgegenstände, die man gleich erkennt und doch nicht durchschaut. Stachelbewehrte Blätter von Agaven, Vasen, Flaschen, farbige Kabel oder Schläuche. Auf anderen Bildern kreist es bunt, als drängten sich aufgeblasene Ballons in der Luft. Und dann sieht man lauter Gesichtern ins Gesicht. Gesichter, vor denen man das unbestimmte und rasch bestimmter werdende Gefühl hat, dass sie nicht wirklich zurückblicken. Irgendetwas ist da - wie eine Sperre, dass einem das kostbare Wort Antlitz nicht gleich und vor allem nicht leicht in den Sinn kommt. Irgendetwas wie ein Schleier zwischen ihnen und uns - oder uns und ihnen, wer weiß das so genau?

Porträts, daran kann eigentlich kein Zweifel bestehen. Bildnisse von Leuten mit Namen, Eigenheiten, Geschichte. Und doch: Das Mitteilsame oder Mitteilungsbedürftige, dass dem Porträt eignet, fehlt hier augenscheinlich. Jeder und Jede hat sein Ich, hat ihr Selbst. Aber die individuellen Spuren, die ja nirgendwo sonst so tief wie ins Gesicht eingeschrieben sind, müssen im artifiziellen Gestus dieser Malerei, im Bauprinzip der Vereinheitlichung sorgsam gelöscht worden sein. Es ließe sich nichts erzählen von ihnen. Sie erscheinen wie die Agavenblätter, Ballon-, Schlauch- oder Flaschenformen als stumm verkettete Anschauungsgegenstände.

Das Porträt will kenntlich machen, soll kenntlich machen. Deswegen braucht man ja auch in Zeiten biometrischer Daten noch immer ein Passbild. Es gilt bis heute als einigermaßen verlässlicher Abgleich mit der personalen Wirklichkeit. Mit Thomas Kitzinger Porträts könnte wohl keiner der Abgebildeten auf einem Amt für öffentliche Ordnung vorsprechen. Selbst der Behörde würde auffallen, dass sie sich zur Identifizierung nicht wirklich eignen, dass sie irgendetwas vorenthalten - oder vor sich halten, etwas für sich behalten, dass sie sich deutlich mehr in die Reihe fügen, man könnte auch sagen: verstecken, dass keiner oder keine auffällt, heraus fällt, sich mehr oder weniger zeigen würde.

All die Bildnisse haben ihren verschwiegenen Namen, in all den Köpfen lagern Erinnerungen, Träume, Wissen, Vergessen. Nichts wird in der Malerei verraten, aufgedeckt, bloßgestellt. Die Geburtsdaten als Bild-Titel, mehr Privatheit ist nicht. Man könnte auch nicht sagen, dass den Porträtierten gravierende Altersunterschiede anzusehen wären. Wohl haben sie alle ihre eigenen Züge. Aber mehr noch haben sie etwas Schematisches wie bei der elektronischen Gesichtserkennung. Und wenn man den Gesichtern doch so etwas wie Ausdruck zuerkennen möchte, dann scheint er wie zur Maske erstarrt.

Dabei ist das Setting so streng, wie die Bildergebnisse wirken. Wen Thomas Kitzinger malen möchte - und der Wunsch geht in der Regel von ihm aus -, der sitzt ihm nicht Modell. Der Künstler fotografiert und bedient sich beim Malen aus seinem elektronischen Bilderspeicher unter Anwendung typisierender Auftrittsregeln: starre Frontalität, grünliches Rundkragen-T-Shirt, bläulicher Hintergrund, Kopf und Hals wie eingesteckt in eine vormodellierte Büste.

Anders als bei anderen Werkgruppen gibt es zu den „Personen“ durchaus private Beziehungen. Es ist zwar keine Bedingung, aber es war bislang immer so: Alle stammen aus dem Bekannten-, Kollegen- und Freundeskreis. Wenn man dazugehört, hat es natürlich seinen Reiz, ein bisschen Quellenforschung zu betreiben und dem einen oder der anderen ihren bürgerlichen Namen zurückzugeben. Aber nötig, gar konstitutiv für die Serie ist das keineswegs. Es sind Anonymi, und sie sind so anonym wie die Gewirre aus bunten Schläuchen, wie die Agavenblätter oder die bunten Teller und Gefäße. Bei ihnen ist es der lackartige Farbauftrag, der sie namenlos macht, bei den „Gesichtern“ das lederne Haut-Inkarnat, das allenfalls ein paar Falten-Gräben zulässt.

Und es ist bei den „Gesichtern“ wie bei den anderen Bilderreihen auch. Sie fließen dahin wie unendliche Ornamentbänder, ohne dass es im Fluss da oder dort zum Stau oder zur Fermate käme, ohne dass eine Form, ein Gesicht das andere übertrumpfen würde. Dass Thomas Kitzingers Bildsujets in der Serie zur unendlichen Wiederholung tendieren, hat mit der Struktur dieser Malerei zu tun, die im Agavenblatt oder in der Ballon-, Schlauch- oder Flaschenform nicht den unverwechselbaren, einzigartigen Gegenstand feiert, sondern seine abstrakte Struktur freilegt, das, was ihn zur dekorativen Reihe befähigt. Und das gilt auch und gerade für Köpfe-Serie.

Kunst ist Herstellung von Künstlichkeit. Im populären Verständnis hinkt sie dem Leben hinterher, versucht, es einzufangen, das offensichtlich Sichtbare sichtbar zu machen. In Wahrheit ist Kunst immerzu auf der Flucht vor dem Offensichtlichen. Die Dinge, die Thomas Kitzinger malt, verdoppeln nicht die Welt im Bild, sie stellen der Bild gewordenen Welt Bilder gegenüber ohne wirklichen Weltbezug - einerlei, ob das Bild einen Kaktus ähnlichen Gegenstand zeigt oder ein zum Gegenstand geronnenes Gesicht. Seine Malerei moduliert unendlich phantasievoll das Thema Künstlichkeit.

Eine Künstlichkeit, die zwischen Figur und Gegenstand keinen Unterschied kennt. Oder noch besser müsste man sagen: Eine Künstlichkeit, die Figur und Gegenstand überführt in den Status eines so nur im Bild existierenden Sujets. Nicht einmal das Wort Motiv scheint wirklich zutreffend. Denn gerade davon, von ihrem Motiv, ihrem Beweggrund berichten die Bilder ja überhaupt nichts. Und schon gar nicht zeugen sie von etwas. Nie ist es Zeug, was sie zeigen.

Bilder wie Verschluss-Sachen. Als läge eine schützende Haut auf den Dingen. Ein diskreter Charme, der alles für sich behält. Als seien die kantenlosen Formen, das weiche Fließen der Linien, ihre Eleganz, der Porzellan-Ton, dieser Lackglanz, auf dem keine Schatten haften, das Maskenartige der Gesichter, das Stellungsspiel der Figuren - als sei das alles nur dazu da, bloß keine Fragen ans Bild aufkommen zu lassen. Schon die Grisaille-artige Malerei nimmt dem einzelnen Gesicht die Chance zur Auffälligkeit, lässt keine Ränge zu, sorgt für Gedämpftheit, für gleichmäßige Temperatur. Alle ein bisschen anders. Und alle ziemlich gleich. Und allen ergeht es wie den stilisierten Flaschen, den Schalen, Vasen und Agaven, die Thomas Kitzinger irgendwann einmal gemalt hat. Eine Alpha-Vase hat er jedenfalls nicht gemalt. Und ein Premium-Agaven-Blatt auch nicht. Keinen Kaktus mit Leitfunktion. Kein Porträt, das die anderen überspielte oder in der Reihe unterginge. Keine Figur mit ausgestellten Führungsqualitäten. Alles verbleibt in der Obhut gleichmäßiger Temperatur, im Zustand konkurrenzlosen Nebeneinanders.

Dabei sind die Dinge ganz deutlich gegeben, brillant gezeichnet. Keine Linie, die aus der Bahn geraten würde, keine Fläche, die nicht sauber begrenzt wäre, die nicht in feinster Stufung in die andere überginge. An dieser Malerei ist nichts verhuscht, nichts spontan, nichts gestisch, keinerlei Affekt spürbar. Man muss den Leuten nur einmal auf ihr Haupt sehen, wo die längeren oder kürzeren Haare wie Halme in Reih und Glied stehen oder sich mit der geometrischen Sorgfalt von Schraffuren an die Kopfform schmiegen.

Nach Berechnung, nach ästhetischer Formel oder malerischer Planerfüllung sieht ja keines dieser Bilder aus. Aber ein wenig schematisch geht es schon zu, und „kühl“ wäre als vorherrschende Temperaturangabe dieses Werks auch nicht ganz falsch.

Andererseits könnte der Eindruck der Reserviertheit dieser Bilder, ihre seltsam verhangene Anmutung auch an uns liegen. So, wie der Brillenträger plötzlich merkt, dass sich auf den Gläsern trübes Gewölk gebildet hat. Man sagt doch auch, es gäbe einen blinden Fleck in unseren Augen. Vielleicht zielen ja die Bilder, was immer sie zeigen oder eben nicht zu zeigen scheinen, auf eben diesen blinden Fleck, auf unsere organisch mentale Unverlässlichkeit. Vielleicht sind wir sozusagen nur schlecht ausgerüstet, bedingt sehgestört.

Jedenfalls haben wir es mit der Tatsache zu tun, dass diese Bilder das Vertrauen, das sie erwecken, immer auf eine subtile, noch undurchschaute Weise stören, zerstören. Vertraut scheint, was sie an Gegenständen oder Personen aufbieten. Oder sagen wir vorsichtiger: Nicht unvertraut scheint, was sie an Gegenständen oder Personen aufbieten. Aber wie sie das tun, das macht eher misstrauisch. Denn zugleich hat es doch den Anschein, wenn man vor Thomas Kitzingers Bildern steht, als ob sich Klarheit und Nebel auf eigentümliche Weise mischten. Als ließe sich das Offenkundige, Augenfällige, unmittelbar Zugängliche mit dem Hintergründigen, Verborgenen, Unabsehbaren auf einen magischen Bund ein. Und tatsächlich geht ja von solcher Fusion eine eigentümliche Magie aus. Dass man auf diesen Bildern - vermeintlich - alles sieht, was es zu sehen gibt, und doch nicht recht weiß, was mit ihnen ist, nie recht weiß, ob man möglicherweise etwas Entscheidendes übersehen hat, das trägt beträchtlich zu ihrer Verführung bei.

Bilder mit Distanz-Qualität. Bilder, die auf Abstand halten. Wie beim Lesen. Wenn wir ein Buch halten - nehmen wir noch einmal Robert Musil, seinen „Mann ohne Eigenschaften“ - halten wir es im richtigen Abstand. Es gibt für jeden von uns nur einen richtigen Abstand. Aber in jedem Fall ist es immer Abstand. Anders geht es nicht. Man könnte sagen, Bücher kommen aus weiter Distanz auf uns zu und bleiben dann in der je eigenen Entfernung vor unseren Augen. Lese-Erfahrung ist vor allem anderen Abstands-Erfahrung.

Es ließe sich einwenden, das gelte für das Sehen schlechthin. Mit der Nase auf dem Bild ist nichts zu erkennen. Das ist wahr. Allerdings gibt es Malerei, die alles darauf angelegt zu haben scheint, den Sehabstand, der nicht zuletzt Erkenntnis-Voraussetzung ist, zu überwinden und mit der ganzen auratischen Gewalt, die das Medium Malerei in Jahrtausenden angesammelt hat, über uns herzufallen. Bilder, auf denen jeder wilder Strich, jeder vitale Farbfleck aus irgendwelchen Psychokratern stammt, kennen keinen Abstand, leugnen ihn willentlich. Zu solcher Malerei hält Thomas Kitzingers Malerei tunlichst Abstand. Was an ihr fasziniert und womit sie fasziniert, rührt nicht von der Überwältigung her. Hat eher mit jener Geduld zu tun, die dem Lesen geschuldet ist.

Diese Bilder kondensieren gleichsam das sinnliche Erlebnis und geistige Abenteuer, das Lesen meint. Sie sind keine Bücher, in denen wir lesen können oder sollen. Aber sie sind aufgebaut, sie sind gedacht, sie sind gemalt in der Weise, wie wir lesen. Beim Lesen beginnt etwas, beginnt ein Prozess, der irgendwann zu Ende geht. Seite um Seite wächst die Nähe, wächst die Ferne, lösen sich Überraschung und Erfüllung, Erwartung und Enttäuschung, Ahnung und Gewissheit in stetem Wechsel ab. Was dabei entsteht, ist womöglich Verständnis, aber vor allem ist es eine singuläre, eine so unwiederholbare sinnlich geistige Erfahrung. Wenn wir das Buch irgendwann noch einmal lesen, lesen wir es neu, lesen wir es anders.

Alles geht in diesem Werk langsam zu, lese-langsam. Der Maler schiebt den Agaven-Topf vom Balkon ins Atelier. Und nicht nur, weil er dem Frühjahr noch nicht so recht traut. Er schiebt ihn ins Atelier, weil er dort so steht, wie er ein Buch hält. Und er sitzt vor dem „Porträt“ und malt, als lese er in einem Buch. Und seine Bilder handeln von nichts anderem als vom sinnlich geistigen Abenteuer, das Malen, Lesen, Erkennen - Sehen heißt.

Beim Malen, Lesen, Erkennen, Sehen ist der Maler mit sich und seinem Bild allein. Herstellung von Künstlichkeit macht auf eine Art auch einsam. Es ist geduldige Selbstbeschäftigung. Und es vergeht - bei aller Aufmerksamkeit für das Sujet und den Malprozess – Lebenszeit. Die Mal-Tage sind wie Bewusstseinsräume, die sich weiten oder enger werden. Was in die makellosen Außenhäute der gemalten Dinge alles eingeschlossen ist, weiß man nicht, wird es, soll es nicht erfahren. Aber die sinnliche Kälte, die von Thomas Kitzingers Bildern ausgeht, ist immer auch Tarnung des Maler-Ichs. Das ist etwas sehr Eigenes an diesem Werk - diese Verschlossenheit, diese Sprachlosigkeit. Nicht zu verwechseln mit Geheimnistuerei. Rätsel geben die Bilder nie auf. Sie verraten nur nicht, was sich an Erfahrungen in ihnen staut.

Immer sind die Malgegenstände so gemalt, dass sie nicht offenlegen, warum es sie gibt, warum es sie so gibt, warum sie so still sind, warum sie nichts beizusteuern haben zur besseren Kenntnis von Herkunft, Absicht, Ziel, und warum sie keine Auskunft geben über den Maler, seine Überlegungen, Vorlieben, Gefühle, Idiosynkrasien.

Man könnte auch an ein anderes Buch denken. An den alttestamentlichen Gebotssatz „Du sollst dir kein Bildnis machen“.  Er ist ja in orthodoxer Auslegung immer zum Verbotssatz umgedeutet worden. In Wahrheit ist da in einem unglaublich hellen Augenblick der Bewusstseinsgeschichte an nichts anderes erinnert worden als an die unaufhebbare Kluft zwischen sichtbarer Realität und der Realität ihrer Abbildung. Heilkräftig, gottesbegabt hätten die Bilder ja nicht werden können, wenn es nicht immer wieder dieses Missverständnis geben würde, die missverständliche Gleichsetzung der Welt mit ihrer poetischen Beschreibung. „Kein Bildnis machen“ heißt bildskeptisch bleiben. Kunst war immer auch eine Weise, den schönen Schein, den sie schafft, gleich wieder durchsichtig zu machen, sich vor der Bildergläubigkeit, die sie stiftet, zurückzuziehen in die geheimnisvolle Lücke zwischen der Welt der Formen und der Form der Welt. In ihrer lakonischen Auskunftsverweigerung sind Thomas Kitzingers „Köpfe“ allesamt Paraphrasen auf das Geheimnis der Lücke. Je länger die Serie wird, desto nachdrücklicher.

Stephan Berg: Die Präsenz des Abwesenden

Zu behaupten, auf Thomas Kitzingers Bildern ginge es still zu, käme einer grandiosen Untertreibung gleich. Seine neueren Arbeiten scheinen vielmehr geradezu durchdrungen von der Atmosphäre völliger Bewegungslosigkeit. Dieser eigentümliche Zustand ewigen Eingefrorenseins ließ sich auch schon an früheren Bildbeispielen ansatzweise beobachten, wurde aber da noch gemildert durch ein breiter angelegtes Motivrepertoire, das unter anderem Koffer, Aktenordner, Gläser oder spezifisch bearbeitete kunstgeschichtliche Vorbilder umfaßte. Auch in diesen Arbeiten wurde schon deutlich, wie sehr dieses Werk davon besessen ist, mit äußerster, akribischer Genauigkeit eine Welt zu erschaffen, die hinter ihren perfekten, zweidimensionalen Oberflächen eine abgrundtiefe Leere spürbar macht. Insofern bedeutet Realismus in Kitzingers Werk seit jeher kein rückwärtsgewandtes Bekenntnis zur Tradition des Gegenständlichen in der Malerei, sondern eine erkenntnistheoretische Methode, mit der sich die Unmöglichkeit von Welterzeugung im Bild in ungewohnter Schärfe deutlich machen läßt.

In den seit 1997 entstandenen Bildern erscheint dieses grundsätzliche Anliegen in mehrfacher Hinsicht radikalisiert. Geändert hat sich zum einen der Motivhorizont: Statt unterschiedlichster Sujets präsentiert uns Thomas Kitzinger nurmehr ein Bildthema: Porzellan-Teller und -Schüsseln. Statt auf Holztafeln werden diese Bilder auf acryl-lackbeschichteten Aluminiumtafeln gemalt und wirken in ihrer Erscheinung – im Vergleich zu dem farblichen Reichtum älterer Werkbeispiele – wie ausgemergelt: Ein in verschiedenste Nuancierungen getriebenes Grau-Blau, ist alles, was der Maler noch an Farbe zugesteht. Gefäße und Teller sind ein altes Thema der Malerei. In den niederländischen Stilleben und Interieurszenen des 17. Jahrhunderts ordneten sie sich in einen symbolischen Verweishorizont ein, der in der Harmonie der geschilderten alltäglichen, fast immer stillen und stillgestellten Welt, stets auch noch die göttliche Ordnung mitbedachte. Zudem boten all die Glaskaraffen, Teller und Porzellangefäße natürlich eine willkommene Gelegenheit, die Perfektion der malerischen Technik vorzuführen und das Vermögen, die unterschiedliche Stofflichkeit der Gegenstände herauszuarbeiten.

Nichts davon findet sich bei Kitzinger wieder. In den Lichtreflexen der mit äußerster Präzision gemalten Teller und Schüsseln spiegelt sich weder die Möglichkeit einer symbolischen Lesart, noch erscheint die bewegungslose Präsenz des Bildinventars als Hinweis auf die harmonische Ordnung einer von transzendenter Gegenwart erfüllten Ding-Welt. Was wir sehen, sind Dinge aus unserer alltäglichen Wirklichkeit, aus denen sich die Welt vollständig verflüchtigt hat. Der monochromie-nahe, hypergenaue, aber emotional unbeteiligte Gestus der Bilder verweigert den Gegenständen alles, was sie im konventionellen Sinn ausmacht. So, wie sie formuliert wurden, schwingt in ihnen nicht einmal mehr die Erinnerung an ihren möglichen Gebrauch mit. Dies umso mehr, als ihnen jeglicher nachvollziehbarer Umraum fehlt, in dem sie sich gemäß ihrer ursprünglichen Bestimmung entfalten könnten. Die in der Aufsicht gemalten Teller-Konstellationen finden keinen anderen Halt im Bild, als das gleiche opake Grau-Blau, aus dem sie selbst gebildet wurden, und das nun seinerseits einen unauslotbaren, nicht-räumlichen Fond für ihr Erscheinen bildet. Auch der Standpunkt der aus der Untersicht gemalten Schüsseln bleibt letztendlich völlig rätselhaft. Die feine weiße Trennlinie zwischen dem völlig flachen anthrazitgrauen unteren Farbfeld und der oberen ebenfalls flächigen blaueren Sphäre, auf der sich ihr malerisch herausgearbeitetes Volumen behaupten muß, macht vielmehr deutlich, daß sie sich in einem strukturellen Da-Zwischen befinden, an einem Phantom-Ort des Weder-Noch. Die optische Plastizität der Schüsseln, die über Lichtreflexe erzeugt wird, deren Ursprung rätselhaft bleibt, weil es in diesen Bildern kein Licht gibt, kontrastiert aufs Schärfste, mit der betonharten, undurchdringlichen Flachheit der zwei horizontalen Farbzonen, zwischen denen die Schüsseln ihre paradoxe Existenz führen.

Alles in diesen Bildern ist auf Sichtbarkeit angelegt. Nichts wird versteckt oder nur angedeutet. Fast erbarmungslos führt uns der Maler sein Medium als Instrumentarium vor, durch das man alles, was da ist, nicht nur sehen kann, sondern sehen muß. Und dabei begreift, daß es eigentlich nichts zu sehen gibt. Denn wenn diese funktions- und ortlosen Teller und Schüsseln eine Präsenz haben, dann ist es die Präsenz ihrer Abwesenheit. Ihr Da-Sein ist tatsächlich nichts als malerisch erzeugte Oberflächen-Illusion. Nicht im Sinne einer virtuosen Oberflächen-Feier, sondern als obsessiver Erweis dessen, daß man gerade durch die Konzentration auf eine radikale Mimetik am Ende die (notwendige) Implosion des Dargestellten erreichen kann. So ist alles, was auf den Bildern Thomas Kitzingers erscheint, der mit rigidester Genauigkeit ausgeführte Beweis dafür, daß es Darstellung, als Vergegenwärtigung des Bezeichneten im malerischen Zeichen nicht mehr geben kann. Was die Arbeiten anbieten, ist nicht die Idee der Repräsentation, sondern der Versuch einer Präsentation ihrer selbst als Beschreibung der darstellerischen Leere, die in ihnen herrscht. So gesehen verbindet dieses Werk sehr viel mehr mit den Ideen von Minimal und Konkreter Kunst, als ein erster Augenschein wahrhaben will.

Das gilt auch und nicht zuletzt für die konsequent auf die Prinzipien Variation und Serie angelegte Werkproduktion und die komplexe Faktur der Bildtafeln. Einerseits folgt der Künstler dabei den Vorgaben traditioneller Ölmalerei und baut seine Bilder – auf einer acryluntermalten Vorzeichnung – in mindestens vier bis fünf Schichten Schritt für Schritt auf. Auf der anderen Seite wird alles, was sich dadurch an erkennbarer Handschrift und formaler Delikatesse einstellen könnte, schlußendlich mit einem Raisermesser getilgt. Das ist mehr als eine formale Reinigung des Bildes, es ist ein Akt, dem durchaus strukturelle Bedeutung zukommt: Denn mit der Ablösung der obersten Malhaut durch das Rasiermesser, trennt sich auch der Maler als Individuum von seinem Bild, das nun einen unabhängigen Status für sich beanspruchen darf und muß. Mit dem Schnitt des Rasiermessers verliert die Malerei ihren Autor und gewinnt andererseits die Möglichkeit, sich nicht mehr als Ausdruck eines individuellen Maltemperaments zu begreifen. Malerei und Bild werden eigensinnig, ohne dabei in die Falle reiner Selbstbezüglichkeit zu laufen. Was wir sehen, lebt vielmehr von einer paradoxalen Auflösung aller Gewißheiten.

Das betrifft am Ende natürlich auch uns als Betrachter. Denn im Blick auf die Teller und Schüsseln entdecken wir nicht nur, wie sich das, was sich uns so klar und akkurat präsentiert, gerade dadurch auch vollständig entzieht, sondern auch, wie der eigene Blick uns sukzessive entgleitet, weil alle Arbeiten die ihnen adaequate Betrachterperspektive bereits selbst mitgemalt haben. Die Teller zeigen sich nur aus der Aufsicht, die Schüsseln aus einer deutlichen Untersicht. Was wir sehen, sind Bilder, die den Akt des Betrachtens kenntlich machen, indem sie ihn offensiv zeigen, aber dabei einen Betrachterstandpunkt einnehmen, der nicht der unsere ist, und – im Falle der in Aufsicht gemalten Teller-Reihe – auch gar nicht unserer sein kann. In Wirklichkeit – und damit schließt sich der Kreis – betrachten diese Bilder sich selber. Wir aber müssen draußen bleiben.

Stephan Berg: Die Unverfügbarkeit des Realen

Seit wir uns daran gewöhnt haben, dass die Kunst in der Abstraktion ihre eigene Realität erschafft, wirkt in gewisser Weise nichts fremder als ein gemaltes Bild, das scheinbar nichts anderes tut, als Ausschnitte der uns umgebenden Realität möglichst genau abzubilden. Dies umso mehr, als es ja heute nicht mehr die Aufgabe der Malerei sein kann, die Welt im Bild wieder auf diese Weise nachzuschaffen. Das können Fotografie, Film und die elektronischen Medien längst sehr viel besser. Die Konkurrenz der elektronischen Bildmedien hat einer wirklichkeitsbezogenen Malerei allerdings auch ein neues, hochproduktives Arbeitsfeld eröffnet. Wissend um die Obsoletheit einer rein abbildenden Mimetik, erscheint malerischer Realismus plötzlich als Möglichkeit, die Unverfügbarkeit des Realen, die Undurchdringlichkeit der Wirklichkeit zu fassen. Die Behauptung für die Malerei von Thomas Kitzinger lautet - auf dieser oben skizzierten Grundlage - dass es ihm genau um diese Paradoxie geht: Also darum, mit vordergründig hyperrealistischen Malmitteln den Bildern jede Wirklichkeit auszutreiben, zugunsten der radikalen Präsenz der Malerei. Insofern arbeitet der Künstler an einem Projekt, hinter dem das Gegenteil dessen steckt, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Dieser Maler sucht seine Ziele nie auf direktem Wege, sondern sozusagen von hinten durch die Brust ins Auge. Und die damit verbundene Unzeitgemäßheit ist ihm dabei durchaus bewusst. Denn innerhalb des heutigen Kunstbetriebs ist das, was Kitzinger tut, ungeachtet der scheinbar uferlosen Vielfalt der Stile, - Ismen und Positionen, nach wie vor ein Sonderfall. Dass der Künstler diesen Weg dennoch seit fast drei Dekaden mit ebenso großer Entschiedenheit, wie inhaltlicher Klarheit verfolgt, hat nichts mit einem snobistischen Einzelgängertum oder stilisierter splendid isolation zu tun. Sondern damit, dass es eben anders nicht geht.

Das war schon so in den 80er und frühen 90er Jahren, als der gebürtige Saarländer als Autodidakt begonnen hatte, seine kühle Malwelt zu erfinden: Auf leinwandüberzogenen, grundierten, geschliffenen Sperrholzplatten zeigten sich Gläser, Flaschen, Bananen (in einer zwölfbildrigen Sequenz von der Vorreife bis zum braunschwarzen Verwesungszustand), kunsthistorische Zitate von Matthias Grünewald bis Jean Auguste Dominique Ingres , leere Aktenordner, Urnen-Nischen, die Oberflächen von Lederkoffern und Porzellanschalen. Alles mit der gleichen Mischung aus Genauigkeit und Erbarmungslosigkeit gemalt. Mit der Präzision eines Chirurgen, der einen Schnitt vornimmt. Es sind nie warme, lebenspralle Bilder gewesen, die Thomas Kitzinger gemalt hat. Das ist bis heute so geblieben. Mit klassischem Fotorealismus, den man ihm zu Anfang gerne vorgehalten hat, hatte das schon damals nichts zu tun, auch deswegen, weil das diesem Genre eigene spezifische Interesse an der Frage, was passiert, wenn ein technisches mediales Verfahren (die Fotografie) in ein handschriftliches mediales Verfahren (die Malerei) übersetzt wird, Kitzinger im Grunde nie beschäftigt hat. Die hypergenaue Malweise, mit der Kitzinger arbeitet, zielt stattdessen immer darauf, jede mögliche Verbindung der gemalten Dinge mit der tatsächlichen Wirklichkeit zu hintertreiben. Anders gesagt: Es geht ihm um eine Austreibung des Realismus mit realistischen Mitteln.

Bei aller motivischen Heterogenität verbindet dabei doch eines alle Motive: Das klare Ziel des Malers, sich bei seinen malerischen Investigationen ganz auf die Oberfläche der Dinge zu konzentrieren. Was ihn interessiert, ist die Haut der Gegenstände, nicht ihre mögliche symbolische Bedeutung. Wobei man auch sagen muss: Bis etwa zur Mitte der 90er Jahre glückt diese Exorzierung des Symbolischen noch nicht ganz: Die 1990 gemalten, zwischen Soll und Haben eingestapelten leeren Aktenordner, zu sieben Tryptichen akkumuliert und mit dem, von dem portugiesischen Schriftsteller Fernando Pessoa entlehnten Titel "Wir führen Buch und erleiden Verluste" versehen, metaphorisieren schon deutlich die Bilanz eines Lebens zu einer erzählerisch melancholischen Konstellation. Ebenso übrigens wie das 1991 entstandene Tryptichon "Die Lebendigkeit des Zerfalls", das acht leere Urnengrabnischen zeigt, von acht geschlossenen, mit Marmordeckplatte und Fotomedaillon versehenen Urnenfeldern gerahmt.

Ließen sich diese Arbeiten noch ohne größere Verrenkungen in Einklang mit der transzendental aufgeladenen Vanitas-Symbolik der niederländischen Stilllebenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts bringen, ändert sich die Tonart etwa ab Mitte der 90er Jahre mit den Serien der sogenannten Tellerbilder deutlich. Das serielle Moment, das diese Malerei schon immer interessiert hat, und welches die systematische, strukturelle Dimension dieses OEuvres unterstreicht, wird nun zur Grundlage des gesamten Werks. Was wir ab jetzt zu sehen bekommen, sind Laborversuche. Radikale Übungen in einem Malereifeld, das seine Motive ausschließlich danach auswählt, ob sich an ihnen die Paradoxie aus Sichtbarkeit (wir erkennen, was der Maler gemeint hat) und totaler Unverfügbarkeit (aber wir kommen keinen Zentimeter an die Dinge heran) erzeugen lässt. So wird eine graue Schale vor nuanciert grauem Hintergrund gerade noch mit soviel malerischer Plastizität und Spiegelungen ausgestattet, um als Gegenstand erkennbar zu bleiben, gleichzeitig aber in ihrem materiellen Volumen soweit reduziert, dass sie beinahe, aber eben nur beinahe zur flächigen Farbform wird. Ausgeliefert an die Nicht-Farbe Grau nehmen die Dinge eine geisterhafte Blässe an und oszillieren auf einer Ebene zwischen drohender, aber nie eintretender Auflösung und angedeuteter, aber nie ganz vollzogener Materialisierung. Malerei ist hier zur erkenntnistheoretischen Methode geworden, mit der sich die Unmöglichkeit von Welterzeugung im Bild in ungewohnter und zugleich produktiver Schärfe deutlich machen lässt.

In den seit 1997 entstandenen Teller-Bildern erscheint dieses grundsätzliche Anliegen in mehrfacher Hinsicht radikalisiert. Die auf acryllackbeschichteten Aluminiumtafeln in Aufsicht gemalten, relativ großformatigen Teller - in einem wie ausgemergelt, lichtlos wirkenden Grau-Blau gehalten - finden keinen Halt im Bild, sondern schwimmen und schweben in demselben grau-blauen Fond, aus dem sie selbst gebildet wurden. Alles an diesen Bildern ist auf Sichtbarkeit angelegt. Nichts wird versteckt oder nur angedeutet. Schonungslos führt uns der Maler sein Medium als Instrumentarium vor, durch das man das, was da ist, nicht nur sehen kann, sondern sehen muss. Und dabei begreift, dass es eigentlich nichts zu sehen gibt.

Daran hat sich in den letzten zehn Jahren nichts Grundsätzliches geändert. Allerdings beginnt der Sprung ins neue Jahrtausend mit einem fast schockierenden Buntwerden der Farbpalette. Wo bislang Grau und Blau herrschten, okkupieren jetzt quietschendes Gelb, Feuerwehrrot, leuchtendes Blau und saftiges Grün die Leinwand und verbinden sich mit einem Motivrepertoire aus Metrositzschalen, gestapelten Ikeabechern, Agaven und Luftballons zu einem wuchtigen retinalen Angriff. Während die Metrositze und die bunten Plastikbecher sich dabei eher in die Fläche zurückziehen, spielen die Luftballons und die Agaven ungebremst ihr plastisches Volumen aus. Insbesondere auf den Agavenbildern lässt Kitzinger deren einzelne dornenbewehrte Blätter so krakenartig in den in einem neutralen Hellblau gehaltenen Bildfonds hineinstoßen beziehungsweise sich bildfüllend ausbreiten, dass die Gewächse nahezu aus dem Bild herauszudrängen scheinen. Aber gerade diese volumenbildende, farblich aggressive Präsenz steigert nicht etwa den Realismus des Dargestellten, sondern seine Künstlichkeit, seine Fremdheit. Die tentakelhaften Agavenblätter fungieren als messerscharfe Schnitte in eine Oberfläche, die aus nichts anderem als aus unbestimmter Leere besteht. Und so sehr sich uns auch die Gummihaut der Luftballons entgegenstreckt und in die Sphäre des Betrachters hineinragt, so deutlich empfinden wir auch die Dünne dieser Haut, die Illusion eines Körpers, die jede Sekunde platzen kann und hinter sich nichts als Luft und Leere hinterlässt. Dies umso mehr, als Kitzinger in diesen, wie in allen anderen Bildern, die oberste Malschicht mit einem Rasiermesser ablöst, und die Malerei damit von jedem persönlichen Duktus befreit und sozusagen anonymisiert.

Es sind vielleicht die trostlosesten Bilder, die Kitzinger bislang gemalt hat, weil sie ihren desillusionierenden Befund mit ostereierbunter Farbenfröhlichkeit tarnen, weil sie ihre Ungreifbarkeit so inszenieren, als gäbe es doch einen Weg, zu ihnen zu gelangen. Es sind Bilder, die zeigen, was geschieht, wenn man die Kriterien der autonomen Malerei auf das Feld der Gegenständlichkeit überträgt: Die Gegenstände werden zu Zombies, zu Un-Toten: Irgendwie sind sie noch da, aber ohne substanzielle oder funktionale Wirklichkeit. Geister, die nicht leben und nicht sterben können. Und es macht das Ganze noch unheimlicher, dass sie nie allein, sondern immer in Serien, in Gruppen, akkumuliert, geschichtet, mit sich selbst multipliziert auftauchen. Das Einzelne, als mit sich selbst Identisches, als spezifisches Individuum existiert nicht in diesem klinisch-kühlen Bildkosmos. Es erscheint so, als wären diese Plastikbecher, Metrostühle, Agaven und Luftballone alles Klone jeweils einer einzigen, selbst schon synthetischen Urform: Replika eines Ur-Replikanten, und damit vernichtendes Dementi gegen die Idee spezifischer und differenter Individualität, aus der sich unser heutiges Bild einer mündigen, selbstbewussten Gesellschaft doch so elementar speist.

Es passt zu dieser nivellierenden, egalisierenden, entindividualisierenden Perspektive, dass Kitzinger als Lieblingshintergrund für seine Bilder entweder einen hellen unbestimmten, irgendwie ausgebleicht wirkenden indifferenten Blauton wählt oder ein undurchdringliches Anthrazitgrau. Beides Farben, die zwischen Tiefe und Oberfläche changieren, und keine Anbindung zu den Motiven der Bilder aufweisen. Der Anthrazitton findet seine Anwendung in einer Serie von 2007 entstandenen Kakteenbildern, die in gewisser Weise an die Agavenbilder anknüpfen, farblich aber wieder zu dem geisterhaften intensiv ausgeleuchtetem Graublau der Tellerbilder zurückkehren. Die Entwirklichung dieser Kakteen geschieht durch fast manieristische Momente der Dehnung und Streckung, vor allem aber dadurch, dass sie jeweils nur in Ausschnitten vorgestellt werden. Wie die Doppelhelix einer DNA oder ein Teil einer Brancusischen Säule schrauben sich die Kakteen aus dem Nichts durch das Bildfeld in ein neues Nichts hinein. Pirouetten in der Leere des dunklen Bildfonds, die nirgendwo hinführen, sondern allein um sich selbst kreisen.

Seit zwei Jahren gibt es ein neues Thema in diesem Malkosmos: Das Porträt. Und wenn nicht alles täuscht und wir den Worten des Malers Glauben schenken dürfen, hat dieses Werk damit sein Epizentrum gefunden, ein Projekt, das Thomas Kitzinger in Zukunft dauerhaft begleiten wird, so wie die epochale Gläser-Serie "Tag um Tag ist guter Tag" für Peter Dreher zum großen Lebensthema geworden ist. Und schon jetzt, angesichts rund vierzig fertig gestellter Porträts, lässt sich die Bedeutung, aber auch die durchaus erschreckende Konsequenz dieser Serie erkennen: Noch nie hat Kitzinger mit seiner Malerei so deutlich den Vergleich zur bestehenden Wirklichkeit herausgefordert, ohne zugleich auf die radikale Autonomie seiner Bildentwürfe zu verzichten. Denn aus diesen mittelformatigen Aluminiumtafeln schauen uns ernst und unverwandt keine irgendwie noch distanzierbaren anonymen Gegenstände an, sondern ausschließlich Freunde und Bekannte des Künstlers – also im Grunde wir selbst. Frontal und regungslos, im immer gleichen Bildausschnitt, im immer gleichen hellblauen T-Shirt vor immer gleichem bläulichen Hintergrund. Aber von der klassischen Koppelung des Porträtbegriffs an das Moment spezifischer Individualität ist nichts mehr übriggeblieben. Diese Malerei sucht keine psychologischen Deutungen, keine heiße Verbindung zwischen Bild und Bildgegenstand. Das verbindet sie mit all den anderen Bildserien Thomas Kitzingers. Auch diese waren und sind allesamt Porträts, in denen die Unmöglichkeit eines wahren Porträts der Dinge deutlich wurde. Der daraus resultierende Rückzug auf die reine Oberfläche der Gegenstände gilt auch für die aktuelle Porträtserie. Die Gesichter sind – basierend auf vom Künstler selbst gemachten Fotos - so genau, so präzise gemalt, dass es fast weh tut. Aber gerade diese Genauigkeit führt dazu, dass wir das Individuum dahinter nicht mehr erkennen können. Es ist verborgen hinter der perfekten Rüstung einer eisigen Malerei. Zusätzlich sind die Gesichter durch den anonymen, raumlosen Hintergrund und das immer gleiche T-Shirt in einer Weise serialisiert, dass nicht mehr so sehr ihre Unterschiedlichkeit erscheint, sondern ihre Uniformität. Ein bisschen erinnert diese Serie an die frühen übergroßen Fotoporträts von Thomas Ruff. Hier wie da wird das Antlitz zum Zeichen der Fremdheit und Unverfügbarkeit. Gesichter so fern und kalt wie die Oberfläche eines fernen Planeten. Und dass Kitzinger für seine Werkgruppe ausschließlich Freunde oder Bekannte porträtiert, macht das Ganze noch unheimlicher, weil der Maler damit sein eigenes emotionales Umfeld einer Untersuchung unterwirft, die einer klinischen Vivisektion gleichkommt, einer brutalen Auskühlung aller zwischenmenschlichen Nähe. Im Lauf der Arbeit an der Serie, die mittlerweile auf rund vierzig Köpfe angewachsen ist, ist die malerische Haltung noch kompromissloser geworden. Wie ein Abtastgerät notiert der Pinsel jede Pore und jede noch so kleine Hautunebenheit und versagt sich dabei jeglichen Anflug von Psychologie oder Deutung. Und doch ist das Ergebnis keine anonyme Maske. Das Eindrucksvolle an diesen Gesichtern ist, dass sie einerseits eine völlige Undurchdringlichkeit ausstrahlen und doch andererseits ganz unmissverständlich auf individuellem Ausdruck bestehen. Die technische Bravour, mit der selbstverständlich auch diese Serie gemalt ist, verfolgt wie in allen übrigen Beispielen ein doppeltes Ziel. Zum einen erzeugt sie in der höchstmöglichen Akribie und Annäherung an den Gegenstand die größtmögliche Entfernung von ihm. Zum anderen ist sie die Hürde, die sich der Maler selbst setzt. Die Lust und die Qual an der Erzeugung dieser Hochpräzisionsmalerei ist das Purgatorium, durch das sich diese Malerei hindurchmalen muss, um am Ende zeigen zu können, dass nicht der Effekt einer blendenden Malerei das Ziel ist, sondern gerade die Zerstörung des Effektes, nicht die Täuschung, sondern die Ent-Täuschung.

Christiane Grathwohl-Scheffel: Thomas Kitzinger 24.10.55 Malerei

In der Sammlung des Museums für Neue Kunst befindet sich ein Bild von Thomas Kitzinger aus der Serie der Schüsseln und Schalen der ausgehenden 90er Jahre. Mit dieser Serie fängt in der persönlichen Zeitrechnung des Künstlers der Abschnitt seiner professionellen Reife an. Die davor geschaffenen Werke sind für ihn geprägt von der Suche seiner künstlerischen Anfänge, von Entwicklungsstadien hin zur eigentlichen malerischen Form. In der bis heute beibehaltenen, äußerst verknappten Form der Bildlegende, die lediglich als Bezeichnung zur Unterscheidung und Möglichkeit zur Identifizierung der Bilder dient, sind die Bilddaten wie folgt: A-27-98, 1998, Öl auf Aluminium, 70 x 200 cm.

Zu sehen sind drei Schüsseln im Profil, unterschiedlich breit, gleich hoch. Sie stehen auf einer monochromen Farbfläche in tiefem Blau-Schwarz. Es ist eine gegenstandfreie, eine abstrakte Farbfläche: kein Tisch, kein Brett, kein Regal. Hinter den Schüsseln ist eine ebenso neutral gehaltene, monochrome blaugraue Farbfläche. Alle drei Schüsseln haben die gleiche glatte, das Licht reflektierende Oberfläche. Ein hoch polierter, fast metallischer Glanz geht von ihnen aus. Ihr anthrazit-grauer Farbton unterstützt diesen Eindruck. Aus welchem Material sie sind, ob aus Keramik oder Plastik, lässt sich nicht genau sagen. Sie wirken eher schwer als leicht, ihre Ausstrahlung hat etwas Gestandenes und Solides. Als Bildformat wählt Thomas Kitzinger ein extremes Querformat. Dadurch werden die Objekte wie durch einen Seeschlitz nahsichtig herangezogen und zugleich ins Monumentale erhoben. Die leichte Untersicht der Darstellung bewirkt eine nach oben gewandte Blickrichtung. Etwas Auratisches, Feierliches umgibt die Schüsseln, die aus jedem Gebrauchszusammenhang entfernt, fast wie Gottheiten einer uns fremden Kultur erscheinen. Die Licht-Reflexionen auf ihrer Oberfläche sind das einzig Bewegte und Belebte. Sie sind von solch frappierender technischer Perfektion, dass man ihrem Illusionismus verfallen muss. Eine Lichtquelle scheint von zwei Seiten zu kommen und führt zu Reflexionen in den gewölbten Schüsselwänden. Man meint, verzerrte Einzelheiten der Umgebung entschlüsseln zu können, fast wie in einem Konvexspiegel, doch die Schatten sind nicht lesbar. Von der Spiegelung können keine Rückschlüsse auf den umgebenden Raum gezogen werden. Der einzige Gegenstandsbezug in diesem Gemälde sind die drei Schüsseln selbst. Sie stehen für sich allein. Und doch geben sie etwas wieder. Auch wenn durch nichts anderes angedeutet, als durch die Spiegelung existiert ein größerer Zusammenhang. Es gibt einen umgebenden Raum. Auf den Schüsseloberflächen scheint er sich zu materialisieren.

Thomas Kitzinger malt mit Ölfarbe auf mit Acryllack beschichteten Aluminiumplatten. Diese Metallplatten haben keine eigene Oberflächenstruktur. Die Farbe sitzt auf diesem Träger glatt und unverbunden. Kein Einsinken der Farbe ist möglich, keine Leinwandstruktur erzeugt malerische Eigendynamik. Hinzu kommt, dass Kitzinger die feinen Spuren und Rillen, die von den Pinselhaaren in der Farboberfläche zurückbleiben, sorgfältig mit einer Rasierklinge entfernt. Eine persönliche Handschrift im Sinne der Nachvollziehbarkeit seiner Pinselbewegungen soll ausgewischt werden. Die äußerste Glätte der Oberfläche ist notwendig, um diese intensive Wirkung von Kühle und Konzentration zu erzeugen. Die Bilder verharren in strenger Bewegungslosigkeit und Undurchdringlichkeit. Fremdheit und Distanz zu den Dingen spiegeln sich in dieser Malerei. Eine Welt, die ursprünglich von einfachen Gebrauchsgegenständen bevölkert war, verkehrt sich ins Irreale.

Mit zunehmenden Jahren sind verschiedene Werkgruppen auf die Schüsseln und Schalen gefolgt. Egal welchem Motiv sich Thomas Kitzinger widmet, seien es Metro-Sitze, Kakteen, Agaven, Luftballons oder Kabel, immer entsteht eine serielle Bildproduktion. Einzelbilder sind bei ihm nicht – oder nur in ganz seltenen Ausnahmen – vorhanden. Wie unter einem besonderen Zwang oder Zauber stehend, verwandelt sich ein einmal gefundenes Bildmotiv zur Serie. Es wird in vielerlei Variationen gemalt und immer wieder neu und immer wieder anders bearbeitet. Betrachtet man allein die Serie der Kabelbilder, die seit 5 Jahren entsteht, wird klar, dass es unzählige Möglichkeiten gibt und auch die gemalten immer nur ein Ausschnitt aus einer unendlichen Vielzahl sind. Vollständigkeit kann gar nicht erreicht werden. Die jüngste, im Jahr 2008 begonnene Werkgruppe der Porträts ist ein Thema, das Thomas Kitzinger nach seiner Vorstellung lebenslang begleiten soll. Sie ist auf ein offenes Ende angelegt. Die Porträtierten sind Menschen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis des Künstlers. Sie werden unter den immer gleichen Bedingungen zuerst fotografiert und schließlich gemalt. Alle sind ohne Schmuck, Brillen, Make-up, ohne individuelle Kleidung und Gegenstände wiedergegeben. Soweit es möglich ist, wurden alle Unterscheidungsmerkmale reduziert auf das unabänderliche von der Natur gegebene: Das jeweilige Gesicht mit seiner persönlichen Ausformung, den Augen, Nase Mund, Falten, Härchen, Eben- und Unebenheiten. Die Exaktheit der Wiedergabe scheint von erschreckender Neutralität. Die mit Bedacht sorgfältig reduzierte und immer gleich gehaltene Farbigkeit strahlt die klinisch kühle Atmosphäre eines Operationssaals aus. Zwischen der Darstellungsweise eines befreundeten Menschen und einer Schüssel macht der Künstler keinen Unterschied. In beiden und auch in allen anderen Fällen malt er das von außen Sichtbare, die Hülle und lässt beiseite, was seit Jahrhunderten Forderung an ein gelungenes Porträt war, das erst dann als ähnlich und lebensecht empfunden wurde, wenn es den Charakter, die "Seele" einer Person einzufangen vermochte. Genau darum geht es Thomas Kitzinger in seiner Porträtserie nicht. Er möchte mit größtmöglicher Neutralität einen aktuellen Zustand im Sinne einer Dokumentation festhalten, ohne den Hauch einer Interpretation ins Bild hinein zu legen. Wie irritierend diese Vorgehensweise und in ihrer Präzision fast schon sezierende Malweise auf den Betrachter wirkt, zeigt sich darin, dass selbst die auf diese Weise Dargestellten sich zuweilen kaum selbst im fertigen Bild wiedererkennen. Ein schleichendes Unbehagen stellt sich ein – Entpersönlichung beunruhigt. Auch in der Titelei hält Thomas Kitzinger sich an das bewährte Prinzip der größtmöglichen Inhaltsleere unter Berücksichtigung des ausschließlichen Aspekts notwendiger Identifizierbarkeit des Bildes. Unterscheidungsmerkmal und Bildtitel ist das jeweilige Geburtsdatum der dargestellten Person, kein Name, keine weitere Information.

Seit Thomas Kitzinger vor drei Jahren mit dieser Porträtserie angefangen hat, wächst sie ständig. Inzwischen sind knapp 40 Bildnisse entstanden. In der Häufung steigert sich die Anonymisierung des Einzelbildes zusätzlich und wird zu einer monumentalen Reihung. Das serielle Arbeiten ist in der Bildenden Kunst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Immer wird ein übergeordnetes System entwickelt und unter den vom Künstler festgelegten Vorgaben entsteht ein Bild nach dem anderen. Dieses System ist von Künstler zu Künstler unterschiedlich, gemeinsam ist lediglich, dass es einer klar definierten Ordnung bedarf, innerhalb derer eine Serie entsteht. Das einmal gesetzte Reglement muss sich an jedem einzelnen Werk nachvollziehen lassen, aus dem sich das Ganze zusammensetzt. Das Grundmuster der Serie ist die Wiederholung dieser immer gleichen Vorgaben. Wiederholung des Gleichen impliziert, dass keine Entwicklung vorhanden ist, denn Entwicklung heißt Veränderung. Es gibt keine Entwicklung, keine Hierarchie, kein Vorher und Nachher. Die Serie ist für sich genommen zeitlos, da innerhalb der Serie keine Veränderung stattfindet. Was sich verändert im Bildsystem der Porträts von Thomas Kitzinger, ist lediglich die dargestellte Person. Am jeweils anderen Motiv, als einzigem Unterscheidungsfaktor, lässt Zeit sich in seinen Bildern nachvollziehen. Zeit ist der offene Faktor, auf eine Zukunft hin ausgerichtet, deren Dauer im Unbestimmten bleibt.

Das Vergehen von Zeit manifestiert sich im Werk von Thomas Kitzinger nicht mit einer Akzentuierung auf dem Präsens, wie in den Date Paintings des japanischen Künstlers On Kawara, dem wohl radikalsten Vertreter dieser konzeptuellen Kunstrichtung. Seit 1966 malt Kawara das Tagesdatum der Bildentstehung. Wird das Bild an dem Tag, an dem es angefangen wurde, nicht fertig, zerstört der Künstler es. In seinem System gilt nur das Jetzt und Heute. Bei Thomas Kitzinger kommt eine andere Auffassung von Zeit zur Anschauung. In seiner Porträtserie stellt Zeit sich wie ein unmerklich langsames, namenloses Fließen dar, ein Fließen das von Bild, zu Bild, zu Bild führt. In ihrer kühlen Farbigkeit und hermetischen Stille konfrontieren diese Bilder letztendlich jeden mit sich selbst, egal ob man die Schalen und Schüsseln betrachtet oder die Porträts. Auch wenn kein Selbstporträt von Thomas Kitzinger existiert, fügt er sich gleichermaßen ein in die lange Reihe der "Abbilder": Indem er für die Ausstellung im Museum für Neue Kunst den Titel ThomasKitzinger 24.10.55 Malerei wählt, wird diese Ausstellung zu seinem Selbstporträt.

Annette Reich und Martina Treiber: Materie – Körper – Hülle

Thomas Kitzinger geht es nicht um den Gegenstand als solchen, vielmehr rückt er Materialität und Körperlichkeit seiner Sujets in den Mittelpunkt der Darstellung. Als Maler nähert er sich seinen Motiven, indem er konsequent Form, Farbgebung, Licht- und Schattenwirkung so aufeinander abstimmt, dass die Außenhaut, die Hülle zum entscheidenden Thema wird. "Die Hülle bildet und bindet den Inhalt zugleich"1 ist ein Schlüsselsatz Kitzingers, der sein künstlerisches Anliegen prägnant zusammenfasst und für alle seine Werkgruppen Gültigkeit besitzt. Teller, Schüsseln, Schalen, Becher, U-Bahn-Stühle, Agaven, Kakteen, Luftballons, Kabel bzw. Schläuche und nicht zuletzt die neueste Serie der Porträts spiegeln diese Aussage äußerst differenziert wider.

Die Werkserie der Teller, Schüsseln und Schalen, die seit 1997 entstanden ist, macht den künstlerischen Ansatz Thomas Kitzingers besonders augenscheinlich. Alltägliche Dinge werden so makellos und perfekt gezeigt, so genau und schonungslos, dass den Betrachter die Gewissheit beschleicht, hier wurde die Natur manipuliert. Man erkennt Gegenstände, die man schon oft gesehen hat. Durch das präzise Abbilden ohne jegliche persönliche Note, wirken sie jedoch eingefroren, wie in einer anderen Welt. Die Darstellung bloßer Gegenstände in einem leeren Raum – einem Kontext, einer Umwelt beraubt – akzentuiert einerseits deren Materialität und Körperhaftigkeit, andererseits die sie umgebende Leere. Dennoch und gerade deshalb sind die Teller, Schüsseln und Schalen wunderbar präsent. Nicht als wirkliche Dinge einer realen Welt, sondern als Hüllen vertrauter Gegenstände, als "Splitter und Fragmente einer als hüllenhaft begriffenen Realität"2, die jeder kennt, aber in einer solchen Radikalität noch nicht gesehen hat.

Auch die Objekte des 1959 in Bad Lippspringe geborenen Künstlers Andreas Bee haben eine selbstverständliche Präsenz. Der Plastiker Bee konzentriert sich bei seinen Arbeiten auf Material und Form. Einfache gebogene Grundformen aus verschiedenen Materialien beherrschen den Raum durch eine ihnen eigene innere Ruhe3. Überdimensional groß fertigte Bee die unbetitelte Schale aus Wachs von 1999. Licht leuchtet durch die hauchdünne Wandung und verleiht der Schale eine transparente Körperlichkeit. Sie wirkt wie eine Hülle, die Raum, Leere, umschließt. Bees Schalen sind immer ungefüllt, sie können "als Metapher für Leere und Fülle gesehen werden […]. Beide Kategorien scheinen sich zunächst konträr gegenüberzustehen, die Leere der Schale kann jedoch ebenso als lebendige Leere, als Chance, als Fülle von möglichen Inhalten gesehen werden."4

Während Thomas Kitzinger seine Darstellungsgegenstände äußerst klar und deutlich, nahezu hyperrealistisch, in den Blickpunkt rückt, deutet der 1964 in Koblenz geborene Maler Martin Streit seine Bildmotive lediglich an. Eine durch Unschärfe gekennzeichnete Schale als bildfüllendes Motiv eines 2003 entstandenen kleinformatigen Gemäldes scheint unmittelbar präsent und zugleich geheimnisvoll entrückt. Ihre Form bewegt sich zwischen Erscheinen und sich Auflösen. Die Grenzen zwischen Materie und Raum verschwimmen. Körperlichkeit und materielle Beschaffenheit werden von Kitzinger wie auch von Bee und Streit stetig hinterfragt und im Falle des gleichen Sujets, der Schale, als konträre, jeweils eigene Wirklichkeiten bildnerisch umgesetzt.

Um materielle Beschaffenheit geht es Thomas Kitzinger auch bei seinen Pflanzenmotiven, genauer gesagt den Agaven und Kakteen, die in verschiedenen Varianten den Bildraum bevölkern. Durch den Verzicht auf jegliche Details und die Pointierung der Farben Grün und Gelb, durch All-over-Ansichten und durch angeschnittene, sich windende oder in den Raum ausgreifende Blätter – die je nach Ausschnitt auch wie Papierbahnen oder verformbare Knetmasse wirken –, erhalten die Agaven eine eigendynamische Lebendigkeit und damit eine neue Identität. Ähnliches gilt für die Kakteen. Besonders markant erstreckt sich bildfüllend ein stark vergrößertes türkisfarbenes Teilstück eines Kaktus vor dunklem Hintergrund wie auf einer fotografischen Nachtaufnahme. Auf den ersten Blick stellt sich die Assoziation eines in Falten gelegten Stoffes ein. Form, Ausschnitt, Farbe und Lichtregie verwandeln das Äußere, die Hülle. Die Materialität ändert sich, wenn auch nur in der Wahrnehmung.

Eine Verwandlung des Äußeren kann z. B. auch eine Uniform bewirken, die wie eine neue Hülle den Körper umschließt und zum identitätsstiftenden Merkmal wird. Der Berliner Künstler Peter Rösel stellt seine Pflanzenskulpturen aus Polizeiuniformen her 5 und verweist damit ironisch auf das Phänomen eines Identitätswechsels. Sein Ficus Elastica decora gehört, wäre er kein Kunstobjekt, wie Kitzingers Agaven und Kakteen, zu den sonst wenig Beachtung findenden Büropflanzen. Unprätentiös lässt er sich an wenig spektakulären Orten, auch auf dem Boden, platzieren. Entdeckt man ihn auf einem Sockel in einem Ausstellungsraum mit anderen Kunstwerken, rückt auf einmal das Material in den Mittelpunkt des Betrachterinteresses. In welcher Hülle steckt welcher Inhalt? Ist die Hülle der Inhalt? Welche Wirkungen kann ein bestimmtes Material oder die Assoziation mit diesem hervorrufen? Das sind Fragen, die auch Kitzingers Malerei stellt.

Seit 2008 widmet sich Thomas Kitzinger in einer Werkgruppe Formen, die an Kabel, oder Schläuche erinnern. Dass eine eindeutige Benennung nicht möglich ist, verrät die ambivalente Aussage der dargestellten Materialität. Der Betrachter ist irritiert. Handelt es sich um ein weiches oder um ein hartes Material? Größenverhältnisse und Buntfarbigkeit erschweren eine gültige Antwort. Auch die Dynamik in den Gemälden Kitzingers verändert sich. Den in sich verschlungenen Gebilden wohnt eine Bewegung inne, die so nur in der vergleichbar bunten Werkserie der Luftballons zu erfahren ist. Die Kabel oder Schläuche erstrecken sich über die als Malgrund verwendeten Aluminium- platten und scheinen teilweise über sie hinauszuwuchern. Andere Gemälde dieser Gruppe konzentrieren sich auf drei Elemente in zurückhaltenden Farben. Seiner Auffassung der Motive bleibt Kitzinger jedoch treu. Er beschreibt die Gegenstände minutiös genau, perfekt und makellos, folgt auch hier seinem Interesse an der Oberfläche, an Farbveränderungen und Schattenwerten. Die Kabel oder Schläuche sind ebenfalls Hüllen; Hüllen einer Realität, die abgebildet irreal wirkt.

Sich windende Formen in Kitzingers Bildern lassen an Werke des Frankfurter Bildhauers Hans Nagel denken. Nagels leuchtend rot lackierte Röhrenplastik ER 4 (Signalrot) aus dem Jahr 1965 wuchert ebenfalls im Raum, scheint sich zu bewegen. Nagel schrieb über seine Motivation, die Röhre als Gegenstand seiner Kunst zu wählen: "Die Energie der gespannten Rohroberfläche: Dynamik und Statik zugleich; die isolierten oder verschlungenen Volumina: abstrakt und sinnlich zugleich; zeigen jetzt direkt und unmissverständlich die vitalen Spannungen die aggressiven Gegensätze, die mich bewegen, Plastiken zu machen."6 Die Verwendung von Farbe erfolgte in Nagels Werken, um unbewegte Teile zu dynamisieren und wilde Bewegungsverläufe abzubremsen. Außerdem spielt sie bei der Wahrnehmung der Materialkonsistenz eine entscheidende Rolle. Die glänzende rote Oberfläche legt die Vermutung nahe, es handele sich bei dem verwendeten Material um Kunststoff, das entsprechend leicht. Tatsächlich jedoch gehört die Arbeit zur Gruppe der Eisenplastiken. Eine durch Form und Farbe erzielte Irritation kommt der Arbeitsweise Kitzingers sehr nahe.

Die neueste Werkgruppe der Porträts spielt eine wichtige Rolle in Kitzingers OEuvre. Freunde, Künstlerkollegen und persönliche Bekannte sind dargestellt. Es handelt sich jedoch nicht um Bildnisse, die neben einer körperlichen Ähnlichkeit auch das Wesen der porträtierten Person zum Ausdruck bringen. Ein Rest an Personalität ist zwar durch die unterschiedlichen Frisuren und die individuellen Gesichtszüge noch vorhanden, doch scheint die Vielzahl der Köpfe mit ihrer spezifischen Formensprache auf eine Gesellschaft als uniforme Masse zu verweisen. Diese Uniformität rührt von der Anwendung unverrückbarer Konstanten. Allesamt sind es Brustbilder im gleichen Format. Der Blick der Porträtierten ist frontal auf den Betrachter gerichtet. Die Personen tragen einheitlich türkisfarbene T-Shirts und befinden sich jeweils vor einem gleichen hellblauen Hintergrund. Hyperrealistisch, ebenso wie die Serien der Pflanzen und Gegenstände zuvor, ohne jegliche Gefühlsregung, sinnentleert, erinnern sie an virtuelle Figuren. Ihr Äußeres steht im Fokus, die reine Präsenz der Körperhülle. Es geht weder um ein Verhüllen noch um ein Enthüllen. Es stellt sich die Frage nach Individualität und Gleichheit. In ihrer Serialität und noch nicht beendeten Menge wirken die Köpfe nahezu bedrohlich, fast wie eine Invasion fremder Wesen oder wie Screenshots aus einem Computerspiel. Den Bildern scheint das Potential einer unendlich variantenreichen Produzierbarkeit inhärent zu sein. Die Hülle als eine Grenze zwischen innen und außen umschließt einen Gegenstand, umgibt einen Raum oder bedeckt als Außenhaut den menschlichen Körper. Kitzinger rückt sie in den Mittelpunkt seiner Bilder und zeigt im gekonnten Umgang mit den angewandten malerischen Mitteln fassettenreich ihre ambivalente Wirkung. Realität und Virtualität, Sein und Schein, Abbild und Neuschöpfung, Identität und Nicht-Identität – zwischen diesen Polen bewegt sich die ausdrucksstarke Malerei Thomas Kitzingers.

 

1 Thomas Kitzinger im Gespräch mit Annette Reich, Oktober 2011.

2 Thomas Kitzinger über seine Malerei, in Kritisches Lexikon der Gegenwar t, Ausgabe 80, Heft 4, 4. Quartal 2007, S. 2.

3 Vgl. Daniela Christmann, Den Konstanten nicht trauen. Material, Bewegung und Transparenz im Werk von Andreas Bee, in: Britta E. Buhlmann (Hrsg.): Transparenz und Dichte. Andreas Bee – Plastiken, Ludwig Wer tenbruch – Malerei, Ausst.kat. Pfalzgalerie Kaiserslautern, Fellbach 1998, S. 11.

4 Wie Anm. 3, S. 11.

5 Vgl. Andreas Schlaegel, Pflanzen, in: Von fernen Örtern, der sie zu erreichen suchte, sich gänzlich ohne Nutzen wieder fand. Peter Rösel, Ausst.kat. Museum Pfalzgalerie, Kaiserslautern 2007, S. 75.

6 Hans Nagel über seine Motivation, in: Rolf-Gunter Dienst (Hrsg.): Deutsche Kunst: eine neue Generation, Köln 1970, o.S.

Hans Gercke: Dynamik der Starre

Blutige Kriege wurden einst um Bilder geführt. Genauer: um die Frage nach der Realität der Bilder, nach dem Verhältnis zwischen der Wirklichkeit des Dargestellten und jener der Darstellung. Heute, so scheint es, gibt es solche Kriege nicht mehr, doch sei vor vorschnellen Schlüssen gewarnt: Es ist noch nicht lange her, dass Machthabern Bilder so gefährlich erschienen, dass sie glaubten, sie verbieten zu müssen. Erst unlängst haben die Taliban in einem Akt unerhörter Barbarei die "Götzenbilder" ihrer buddhistischen Vorfahren zerstört. Und wird nicht auch heute, womöglich zu Recht, die Forderung erhoben, die mediale Verbreitung spekulativer Bilder der Brutalität zu verhindern? Andererseits: Die weltweite Empörung gegen Krieg und Folter entzündete sich, höchst aktuell, nicht an Berichten, sondern an Bildern. Das Thema hat sich noch längst nicht erledigt. Noch heute nehmen wir für bare Münze, was uns Bilder erzählen, obwohl wir wissen, welche Möglichkeiten der Manipulation nicht erst die neuen digitalen Techniken eröffnet haben. Bilder bestimmen den Horizont unserer Erfahrung, und noch immer steht das Gros der Zeitgenossen mit Unverständnis Bildern gegenüber, die sich den geläufigen Referenzerwartungen verweigern. Die Abkehr vom in Jahrhunderte langer Evolution perfektionierten Ideal der Mimesis, die Etablierung des Bildes als Realität sui generis, bestimmte die Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts. Allerdings war das Bild immer schon etwas anderes als die abgebildete Realität, und letztlich erlaubte es gerade diese Andersartigkeit, Aussagen über die Realität zu machen, die über deren bloßes Aussehen hinausgingen. Gerade der Abstand zur Welt außerhalb des Bildes verstärkt noch dessen Hinweischarakter, weswegen umgekehrt radikaler Verismus, scheinbar paradoxerweise, als höchst befremdlich erlebt werden kann – was durchaus zutrifft auf das Schaffen von Thomas Kitzinger. In immer radikaleren Schritten wurde im vergangenen Jahrhundert den Bildern alles "Artfremde", alles Abbildende – das Räumliche, das Narrative – ausgetrieben, ohne dass sich freilich vermeiden ließ, dass der Betrachter angesichts noch so "absoluter" oder "konkreter" Malerei aufgrund seiner Vor- und Ein-Bildung doch immer wieder Bezüge herstellte zur vertrauten Wirklichkeit. Im Zeitalter der Postmoderne ist der Gegenstand in die Malerei zurückgekehrt – er hatte sich freilich nie völlig aus ihr verabschiedet, war allenfalls zeitweise an den Rand der Szene gedrängt worden. Oder er hatte sich aus dem Bild, das selbst Gegenstand geworden war, entfernt und war seinerseits zum Bild avanciert, zum Bildobjekt, dem, losgelöst vom gewohnten Kontext, eine neue Präsenz und Wertigkeit als Kunstwerk zugesprochen wurde.

Kontextverschiebungen unterschiedlichster Art ließen sich auf der Bühne des vom Diktat der Mimesis befreiten Bildes trefflich inszenieren. Der Kubismus mit seiner collagehaften Addition unterschiedlichster Formfragmente und Blickpunkte wies den Weg, auch für den künftigen Umgang mit dem Gegenstand. Thomas Kitzinger hat sich in den frühen 90er Jahren solcher Verfahren bedient, wenn er, in der Auseinandersetzung mit Ingres, mehrere Realitätsebenen im illusionistischen Bildraum zusammenführte.

Im Zuge der beschriebenen Entwicklung gewann der Kontext der Präsentation an Bedeutung. Objekte fügten sich zur Raum-Installation, Bilder mutierten zu Teilen einer übergreifenden Inszenierung. Unter veränderten Prämissen ergaben sich so Möglichkeiten einer neuen Einfügung in einen übergeordneten Zusammenhang, wie er für frühere Epochen gang und gäbe war. Bei alledem handelte es sich keineswegs um simple Restauration, vielmehr, und auch dies trifft auf die Arbeiten von Kitzinger zu, um ein Wiederaufgreifen des Gegenständlichen aus dem Wissen um die Abkehr von diesem. Die Kriterien "autonomer" Malerei wurden gleichsam auf die neue Gegenständlichkeit übertragen. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, bei Kitzingers Bildern handle es sich um so etwas wie Fotorealismus. Aber das, was dessen Kreationen über den simplen Blow-up-Effekt hinaus interessant macht, die subtile Übersetzung spezifisch medialer Phänomene in das traditionelle Medium der Malerei, spielt in Kitzingers Bildern keine Rolle.

Betrachtet man das Schaffen Kitzingers vor dem Hintergrund der soeben skizzierten Tour de Force durch die neuere Kunstgeschichte, so lassen sich folgende Beobachtungen festhalten: Kitzingers Malerei ist auf eine Weise altmeisterlich, die Tradition und Handwerklichkeit in nicht mehr zu steigernder Perfektion anwendet, zitiert und letztendlich ad absurdum führt. Schicht für Schicht werden Lasuren aufgetragen, die Glätte der Oberfläche wird anschließend mit der Rasierklinge bearbeitet, um auch noch die allerletzten Spuren der Malaktion zu tilgen. Das Produkt solcher Handarbeit gibt sich den Anschein maschineller Fertigung, was bei den neueren Bildern noch verstärkt wird durch die Verwendung von Aluminiumplatten als Bildträger.

Analoges lässt sich bezüglich der Motive feststellen. Kitzingers Bilderfindungen knüpfen an die Welt der Stillleben an. Haben sich diese – wie andere Bildgattungen auch – historisch aus der liebevollen Schilderung des Ambientes sakraler Themen entwickelt und schließlich zur eigenen Gattung emanzipiert, so verbinden sie in ihrer Blütezeit das Interesse an den kleinen Dingen des Alltags mit der Lust an der Fähigkeit, diese so perfekt wie möglich zu vergegenwärtigen. Mit wissenschaftlicher Akribie werden nicht nur zoologische und botanische Details wiedergegeben, sondern es wird auch das Verhältnis der Dinge zu einander studiert, ihre Erscheinungsweise und Wahrnehmbarkeit im Raum, ihre Stofflichkeit, ihr Verhalten unter dem Einfluss von Licht und Schatten. Dies Letztere war es vor allem, was das Stilleben für Chardin und Morandi zur bevorzugten Gattung machte, aber auch die Kubisten haben sich für die genannten Aspekte interessiert und die Möglichkeit, an ihnen ihr neues Bildkonzept zu verifizieren. Bei älteren Stillleben kommt freilich als metaphorische Dimension noch die im Bild thematisierte Polarität von vitaler Fülle und Vergänglichkeit hinzu. Über die eisige Fremdheit, die Kitzingers Teller und Becher ausstrahlen, über die völlige Verweigerung auch nur der Andeutung eines Kontextes und über die puristische Flächigkeit dieser Bilder trotz minutiös illusionistischer Wiedergabe ist viel und Treffendes geschrieben worden. Der Betrachter sieht sich mit einer Welt konfrontiert, die ihm nicht zugänglich ist, obwohl er sie zu kennen meint. "In der Diktion des Malers erscheinen die Dinge in einer Fremdheit, Schärfe und Akkuratesse, die wir in der Wirklichkeit nie an ihnen bemerkt haben", schreibt Stephan Berg. "Was wir sehen, ist das Einzelne in seiner Vereinzelung, so liebevoll und so erbarmungslos genau gemalt, als gäbe es nichts anderes". Und, an anderer Stelle: "Ein Bild zu malen wird in diesem Kontext zu einem Balanceakt. Es bedeutet, den Gegenstand so weit ernst zu nehmen, dass er als konstanter Bildträger taugt und ihn gleichzeitig mit soviel Fragilität auszustatten, dass klar wird, dass er nur Platzhalter der ihn umgebenden Leere ist".

Der "Balanceakt", den Kitzinger vollführt, zeigt in perfektem trompe-l'oeil die Oberfläche der Dinge, sozusagen im Reindestillat die Art und Weise ihres Erscheinens. Sie werden weder dämonisiert noch verfremdet, ihre irritierende Fremdheit besteht vielmehr in ihrer radikalen Präsenz als Malerei. Betrachtet man die werkbiographische Entwicklung dieser Malerei, so lässt sich verfolgen, wie sowohl narrative und metaphorische Elemente – der Wandel des Lichtes als Aspekt der Zeit, die Veränderung einer Frucht im Zeichen ihrer Vergänglichkeit – als auch der Kontext der dargestellten Objekte sukzessive getilgt werden. Spiegelten sich in Tellern und Kannen noch die Fenster eines realen, freilich menschenleeren Raumes, so bleibt bei den neueren Bildern zwar der Lichtreflex als Voraussetzung der Illusion von Plastizität erhalten, aber seine Quelle ist nicht länger lokalisierbar. Die Reihung der ihres Kontextes entkleideten Motive generiert in der Präsentation einen neuen Zusammenhang. Aus Starre entsteht Dynamik, aus übereinandergetürmten Bechern erwächst so etwas wie Brancusis unendliche Säule. Bildfriese gewinnen architektonische Qualität, auf merkwürdige Weise kontrastiert der Künstler die gleichermaßen distanzierte Behandlung weniger, jedoch höchst verschiedenartiger Motive miteinander. Erscheint die kühle Stille der Gebrauchsobjekte in gewisser Weise "angemessen", so berühren die in gleicher Weise scheinbar unbeteiligt wiedergegebenen, wie eingefrorenen Ansichten grellfarbig gezackter Agaven eigenartig spannungsgeladen. Mehr noch gilt dies für die Schlachthofbilder, deren serielle Kälte als erschreckende Analogie zum gezeigten Vorgang erfahren wird.

Kitzinger gelingt mit diesen Bildern so etwas wie die Quadratur des Kreises. Seine Arbeiten sind, ohne auf den Gegenstand zu verzichten, absolute, autonome Malerei. Im radikalen Verzicht auf narrative und metaphorische Aspekte, wie sie noch in den 90er Jahren in seinem Schaffen eine wichtige Rolle spielten – die leere Mitte seiner Triptychen, konkrete Hinweise auf Vergänglichkeit und Tod etwa in der Serie "Zwölf Tage im Leben einer Banane" – thematisieren sie in der Dynamik eisiger Starre, in der kühlen Askese ihrer ebenso unprätentiösen wie dennoch fast sakral anmutenden, monumentalen Perfektion auf neue Weise, was schon immer Thema des Stillebens war: das Motiv der Vanitas.

Heidelberg, im Juni 2004

Christoph Bauer: Agaves of all things!

On a new series of panel paintings by Thomas Kitzinger Agaves of all things! One of those plants which spends years slowly deteriorating in offices, noticed by nobody! Such was the comment of an acquaintance when I told him that the artist whose work I was interested in had taken agaves as his preferred motif for the last two years and had made them into a series, as he was wont to do with the subjects he addresses. The next time I walked through the offices of a city hall I did indeed notice all those "office plants" to which I would otherwise have hardly paid attention. There they stood, most of them looked sad, forgotten, covered in dust, mostly in poor soil and with damaged laves. Truly invisible!

In Thomas Kitzinger's pictures, by contrast, the emphasis is on visibility. Likewise in his new works the motif catches the eye with such sharp intensity that Stephan Berg has termed the pictures "almost merciless".1

One might thus initially assume that the artist himself has a great interest in the plants. Is Thomas Kitzinger a nature painter who really wants to appropriate his subject matter? The answer must be no. Although Kitzinger approaches his motif with such accuracy that we get the impression we are seeing an agave for the first time, we swiftly notice that something is not quite right. And if we study the picture we still do not get any closer to deciding what the object is. A wide gap remains between the object and the representation. The panel emerges in defiance of its objective appearance as a hermetic construction.

So what does Kitzinger show us in his agave pictures? How does he proceed? In recent years, Kitzinger has only painted single objects or rows of objects. He extricates these completely, or in sections, from their environment and presents them as isolated objects in front of neutral or sometimes a contrasting background so that the viewer can discern neither a pictorial field nor a signifying context or an attendant context. In the case of the agaves your attention is repeatedly drawn deep down into the leaf node of the rosette – to the exclusion of the background. Here the totality of the object reigns, alone. Apparently, the painter is attempting to grasp his object as precisely as possible in painterly and visual terms: the shape and curve of the leaves, the way they reach out, the colored appearance and smoothness of each individual leaf.

Add to this the bewildering interplay of light and shadow. Some parts lie in bright light with others in deep shadow, without a recognizable source or origin of light. Seemingly the track of the light follows less the natural laws of light and spatial conditions than it serves the composition and highlights or conceals individual sections. This is at times reminiscent of "frozen" film stills. In any case, Kitzinger's use of light increases the artificiality of his panels.

The object which was at first so familiar to the viewer increasingly seals itself off. It becomes increasingly alien. A harmless office plant becomes an object from whose skin our gaze recoils. No, these plants are not individuals. The choice of title already foregrounds the serial aspect of the works and the attendant dialectic as opposed to our memory of plants. The constant repetition of the motif which in itself warrants a more thorough appropriation and inspection intensifies the impression here that any such effort by us would be futile. "The more often the same objects appear in these pictures, ... the less you believe their apparent realism.2

For Thomas Kitzinger the agave, like other objects is a template, indeed a pretext with which he visualizes the problem of appropriation and visibility. Kitzinger admittedly does not select his specific objects as prototypes without reason. In the case of the agave, his approach is reinforced by the flowing movements, turns and arches of the leaves as well as their great opulence (which Kitzinger describes as an "erotic moment".3

They offer added value compared with the static bottles, vases, mugs and plates of recent years. Yet ultimately Kitzinger is not interested in the actual plants or their will even if they are sitting in pots in his studio. For him, like the photos he has taken of them, they are only the starting point and a useful instrument in the new composition, they are the concentration and variation of a motif which appeals to him because of its 'paintability'. This is the only way to explain why all his motifs once they have proved appropriate, "become more and more autonomous". Their potential essentially lies in the reduction which the agave offers in formal terms so that series and variations are both possible. Indeed Kitzinger eliminates any details from view that might destroy the regular, homogenous nature of the picture as a whole, and adheres to the principle of adding to a series of composed picture elements. Kitzinger thus chooses to leave out growth deformations and injuries, offshoots and dead leaves; he also omits soil and pots, restrain jagged leaf edges, unify leaf drawings, change the color of the leaves and increases the harmony of the colors green and yellow. Kitzinger himself speaks about the luminosity of the color in terms of it having an "aquarium effect" which appeals to him. In order to achieve this effect he has to master the technical means formally but also ingeniously. Painterly bravura is not the aim in itself but essential for the content of Kitzinger's works. They are created along the guidelines of traditional panel paintings in the lengthy process of building up layers. The painter has used dibond panels as the medium. The object of the picture is built up in at least four or five layers from a preliminary sketch emphasized using acrylic. The texture of the uppermost skin is removed with a razor blade – not only at the end but also in between. It is also possible to make corrections – to a limited extent - in this way. Stephan Berg has pointed out that the painter detaches himself from the picture in this way and "that now an independent status can and must be claimed for it. With the cut of a razor blade the painting loses its author, but on the other hand it gains the possibility of no longer being understood as an expression of an individual painterly temperament.4

The panel picture is finally sealed with a varnish, first with a matt and then a semi-matt spray. The procedure by which a smooth, homogeneous yet non-reflecting surface is created can be considered a further way of rendering the artwork autonomous. As Kitzinger's works have no recognizable signature they do not stand for an artistic temperament but rather for themselves. Now, one could term this kind of painting "realistic". Undoubtedly there exist in the art world paintings you could refer to as virtuoso, superficial "realism" in which individual pictorial elements are shown in an overly clear way. But in contrast to Kitzinger's painting these works are then mostly photorealistic or even symbolist. The pictorial object is simply represented perfectly or an attempt is made to lend it a hidden meaning by arranging it in a certain way. Kitzinger's artistic stance, however, is by no means mannerist in this sense. The selection of picture sections already attests to this fact. He zooms in, cuts out, refocuses and isolates. The pictorial object is simplified and compacted to its mere prototypical appearance. Nothing is allusion, revelation or narration. Instead, something is 'simply' fixed and showcased. The visible, the surface and the painting triumph. But this is "not light fare and it becomes all the more overwhelming in that Thomas Kitzinger carries out his explorations without any pathos or metaphysical exaggeration, with the precision of a surgeon. 5

Kitzinger's art of pure visibility is much closer to reductionist, minimalist positions in Modernism than it is realist. Like the former, his pictures also contain the moment of switching perception. And suddenly you understand that behind the objects there is "nothing, to see, just emptiness. For others there may be different worlds behind the surface – a context of meaning of things which exists from the beginning.6

Kitzinger's agaves are thus splinters of a reality understood as a sheath. This painting reconstructs reality layer for layer without ever wanting to eliminate the discrepancy between the realities of the subject and the object. "And so everything which appears on Thomas Kitzinger's pictures is proof furnished with the utmost precision that representation as a visualization of what is described can no longer exist in painterly symbols.7

What exists is solely the reality of the picture and in the final analysis it is this which concerns the viewer. Kitzinger's pictures become a space for thought in that his painting explains the process of how things both appear and recede before our very eyes. What do we see? Is it really just agaves?

 

1 Stephan Berg: "Die Präsenz des Abwesenden," (The Presence of the Absent) in: Thomas Kitzinger, published by Kunstverein Freiburg im Marienbad, catalog, (Kunstverein Freiburg et. al, Freiburg, 1999), p. 7.

2 Stephan Berg: "Die Leere der Dinge," (The Emptiness of Things), in: Thomas Kitzinger – Malerei, catalog, (Galerie Ulrich Gering, Frankfurt/M., 1995), p. 8.

3 All quotes by Thomas Kitzinger stem from discussions between the author and the artist in the first half of 2004.

4 Stephan Berg, see note 1, p. 7.

5 Stephan Berg, see note 2, p. 9.

6 From a text by author on the artist, Aug. 25, 2003.

7 Stephan Berg, see note 1, p. 7

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